Heft 
(2016) 102
Seite
127
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Laudatio für Josef Bierbichler  Spengler 127 Zuhörer, aus näherer Betrachtung mitteilen, dass, wer sich in das Wirts­haus am See begibt, gut beraten ist, ein mitgebrachtes Werk der Literatur nicht achtlos herumliegen zu lassen. Und wer, wie Bierbichler, einmal den ganzen Ulysses von James Joyce für ein Hörbuch-Projekt eingelesen hat, kennt keine Scheu vor den Erzähltechniken des 20. Jahrhunderts. Und er hat genauso wenig Scheu, Geschichten, die zu Lebzeiten unserer Väter und Großväter in einem Dorf in Oberbayern spielten, zur Matrix für politischen Mut, politische Feigheiten, für Hinsehen und für Wegsehen zu nehmen, als spielte dieses Welttheater noch heute. Es spielt ja noch heute. Unbelehrt, hoffentlich nicht unbelehrbar. Über fruchtbare und unfruchtbare Schöße muss man auch in Bayern niemanden belehren. Meine Damen und Herren, ich halte hier eine Laudatio auf Bitten einer Jury, die mich ehrenvoller Weise darum gebeten hat. Vielen Dank, Frau Delf von Wolzogen, vielen Dank der Jury und mein herzlichstes Kompli­ment für Ihre kluge Entscheidung. Das Wort Laudatio hieß bei den Grie­chen Panegyrik, es war eine der Kunstformen der klassischen Rhetorik. Man stellte dem Künstler, damals ganz selten der Künstlerin in freundli­chen Worten ein Zeugnis seiner Vollkommenheit aus. Wie ich es heute mit Josef Bierbichler darf. Zu diesem Vorgang gehörte, wie bei allen Götterge­schenken, natürlich eine Auflage: Sie lautete: Bleibe, oh Günstling der Göt­ter, vulgo Josef Bierbichler, bleibe so, wie wir Dich hier beschrieben haben, und wage nicht, von diesem Pfade abzuweichen. Sepp Bierbichler, dessen bin ich mir sicher, wird diesen Auftrag beher­zigen, wenn auch, wie ich fürchte, auf seine eigene Weise. Er wird uns nichts schuldig bleiben. Was mich jetzt, zum Abschluss, an eine Schuld gemahnt, eine Anekdo­te, die ich am Anfang meiner Rede ankündigte: Wann, ja wann denn, gab es die erste, wenn auch nur kometenstaubhafte Beziehung zwischen Josef Bierbichler und Theodor Fontane? Ich darf dieses Ereignis als Zeitzeuge erzählen. Die Geschichte trug sich 1972 oder 1973 zu, klar, in einem Ort am Ostufers des Starnberger Sees, in einem Wirtshaus mit Theatersaal. Der Theaterbetrieb lag in den Händen der damaligen Sterne des deutschen Theaters, sofern sie sich am Ostufer angesiedelt hatten. An jenem Abend wurde ein Stück von Ludwig Thoma gegeben. Ein Schwank mit dem Titel Erster Klasse, uraufgeführt entweder im August oder im September 1910. Sepp spielte die Rolle des Josef Filser, eines Landtagsabgeordneten mit starker Verbindung zur hei­matlichen Scholle, und er traf auf einen Vertreter für Kunstdünger, einen gewissen Friedrich Wilhelm Stüve. Dieser Stüve, so schreibt Ludwig Tho­ma in der Liste der dramatis personae stammt, Sie werden sich erinnern, meine Damen und Herren, aus Neuruppin.