Mit Zopf und Knebelbart Möller 151 auch nicht gleich richtig verstanden wurde. Ein Spottbild über den Eigentümer ist ein ung ewöhnlicher Beitrag zu einem Album Amicorum. Diese Gattung war der Memoria, der Reverentia, der Amicitia vorbehalten. Menzels Brief zeugt davon, dass ihm das Risiko, Anstoß zu erregen, bewusst war. Die Anhäufung von Höflichkeit herausstellenden, Exkulpation heischenden Konjunktiven ist ebenso auffällig wie die das eigene Werk herabsetzende Bezeichnung»Schmieralie« für ein Blatt, das mit so großer Sorgfalt ausgearbeitet ist. Selbst wenn man konzediert, dass gerade dies der Ton war, in dem sich der Tunnel so gefiel, er mochte auch dort mitunter verletzend wirken, bleibt festzustellen, dass am Beginn der Korrespondenz zwischen Fontane und Menzel eine Irritation stand. Menzels Brief ist völlig zerknittert. Ob ihn sein Empfänger in erster Rage zerknüllte, bevor er sich besann? Jedenfalls wurden Brief und Gegenbrief sorgfältig aufgehoben. Das wertvolle Bildgeschenk sowieso, es war ja – zu»dauerndem Gedächtnis« – in das Album eingetragen. Immerhin handelte es sich um»das beste Theil von ganz Anhalt-Dessau«, wenn auch»nur in effigie«. Was heißt »nur«? Menzels Brief bietet dennoch weder Zurücknahme noch Erklärung des Bildes. Der Adressat ist darauf verwiesen, es selbst zu lesen, seine Besonderheiten zu erfassen, seine Arbeitstechnik genussvoll auszukosten, sich seine Motivik bewusst zu machen, etwa die Kopfhaltung der Statue im Vergleich zu Schadows Vorlage, oder den auffälligen Kontrast zwischen den beiden das Bild konstituierenden zentralen Figuren, ihre Größenverhältnisse, ihre Kleidung, die Art ihrer Darstellung. Dieses Blatt ist kein Rebus, es bedarf keiner verbalen Erklärung. Es ist auch als Bild verständlich. Nicht nur mit dem hinzugefügten Begleittext, auch mit den Mitteln der bildenden Kunst ist hier ein eigentümlicher Dialog dargestellt. Der zudringliche Betrachter, der seine dunkle Gestalt in ungehöriger Grenzüberschreitung und Selbstüberhebung auf den Sockel zu dem Denkmal geschwungen hat und in einem letzten Schritt gerade die Grundplatte der Plastik erklimmt, vermag dennoch nicht auf Augenhöhe mit seinem Gegenstand zu gelangen, bleibt klein, ist klein neben dem erhabenen Kunstwerk, das er in seiner klaren Schönheit nicht erreichen, kaum berühren kann. Der große, dunkle Fleck ist etwas, das die selbstverständliche Schönheit des Standbildes stört. Die schwarze Hand auf dem weißen Marmor-Arm verbildlicht die fast schmerzliche Dissonanz auf berührende Weise. Dieser unerhörte Kontakt ist das aufregende Element in diesem Bild. Auch die Blickbeziehungen wiederholen das Missverhältnis. Der Betrachter schaut zum Denkmal auf. Der Kopf der Statue ist ihm zugewandt, der Blick jedoch streicht über ihn hinweg. Die Art der Darstellung von Statue und Betrachter unterstreicht den Gegensatz, ihn in allen Motiven wiederholend und variierend, Kleidung, Frisur, Barttracht, Haltung. Im ersten Augenblick wirkt der kleine, sich auf
Heft
(2016) 102
Seite
151
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