30 Fontane Blätter 100 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Heimat bei Theodor Fontane und Joseph Roth Helen Chambers »Der ist in tiefster Seele treu, Wer die Heimat liebt wie du.« 1 Das Wort Heimat hat eine Reihe von verwandten Bedeutungen. Ursprünglich bezeichnete es das Haus, in dem man wohnte, aber inzwischen sind verschiedene weitere Bedeutungen hinzugekommen: das Land, in dem man geboren wurde oder aufgewachsen ist, ein ständiger Wohnort, ein Ort, an dem man sowohl körperlich als auch seelisch zu Hause ist. Die Heimat kann − aber muss nicht − mit einer Nation, einer politischen Einheit identisch sein. Das Wort kann aber auch auf etwas geographisch Begrenzteres verweisen, etwa eine Stadt oder eine Region, oder auf eine Vorstellung im Kopf. Es lässt sich oft schwer übersetzen: auf Englisch zum Beispiel kommen»home«,»homeland«,»native land« in Frage. Die emotionale Resonanz und der musikalische Klang gehen fast zwangsläufig verloren, eine Resonanz, die vor allem der Dichtung der deutschen Romantik zu verdanken ist und die durch viele Vertonungen, wie beispielsweise Schuberts Winterreise-Zyklus, lebendig erhalten wird. Im frühen neunzehnten Jahrhundert verbreitete sich der Gebrauch des Begriffs Heimat bei den deutschen Romantikern und im Rahmen des wachsenden Interesses an nationaler und regionaler Identität. Für Dichter wie Novalis und Eichendorff verbindet sich der Heimatgedanke mit der Sehnsucht oder dem Suchen nach einem seelischen Zuhause, welches in einer mystischen Vereinigung oder gar Symbiose mit der Natur zu finden wäre. Auf eher prosaischer Ebene ist die Entwicklung von»Heimat« zu einem festen und wichtigen Teil der literarischen Landschaft einem Komplex politischer und sozio-ökonomischer Faktoren zuzuschreiben. Dazu gehören die Befreiungskriege gegen Napoleon, welche das Heranrücken der Franzosen in unbequeme Nähe zum Vater Rhein, dem Symbol deutscher Identität, mit sich brachten. Dieser politische Umstand wurde Anlass für viele Gedichte, in denen der Rhein als Inbegriff der Heimat besungen wird.
Heft
(2015) 100
Seite
30
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