Heft 
(2015) 100
Seite
49
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Fontane und Emil Frommel  Ester 49 dass er der Braut»teuer« sei. Vom Inhalt der Predigt erfährt der Leser nichts. Das Hochzeitsmahl nach der Trauung dagegen wird ausführlich beschrieben. Frommel spielt während des Essens eine bedeutende Rolle: »Dem Brautpaare gegenüber saßen die beiden Väter, beziehungsweise Schwiegerväter. Da weder der eine noch der andre zu den Rednern zählte, so ließ Frommel das Brautpaar in einem Toaste leben, drin Ernst und Scherz, Christlichkeit und Humor in glücklichster Weise verteilt waren. Alles war entzückt, der alte Stechlin, Frommels Tischnachbar, am meisten. Beide Herren hatten sich schon vorher angefreundet, und als nach Erledigung des offiziellen Toastes das Tischgespräch ganz allgemein wieder in Konversation mit dem Nachbar überging, sahen sich Frommel und der alte Stechlin in Anknüpfung einer intimeren Privatunterhaltung nicht weiter behindert.« 5 Während dieser Privatunterhaltung kommt das Gespräch auf ein Lieblingsthema des alten Stechlin, den alten Kaiser Wihelm. Statt der von Pfarrer Frommel gehaltenen Tischrede bekommt der Leser nun die Antwort auf die Frage zu hören, die Dubslav von Stechlin an Pfarrer Frommel stellt:»Wie war er denn so, wenn er so still seine Som­mertage verbrachte? Können Sie mir was von ihm erzählen? So was, woran man ihn so recht eigentlich erkennt?« 6 Was Frommel im Roman erzählt, ist die Anekdote, die der Leser dieser Zeilen bereits aus Frommels Band Nachtschmetterlinge kennt. Die Rolle des Kammerdieners wird nun Frommel selbst übertragen:»Eine ganz kleine Geschichte; aber das sind gerade die besten. Da hatten wir mal einen schweren Regentag in Gastein, so daß der alte Herr nicht ins Freie kam und, statt draußen in den Bergen, in seinem großen Wohnzimmer seinen gewohnten Spaziergang machen mußte, so gut es eben ging. Unter ihm aber(was er wußte) lag ein Schwerkranker. Und nun denken Sie sich, als ich bei dem guten alten Kaiser eintrete, seh ich ihn, wie er da lange Läufer und Teppiche zusammenschleppt und übereinanderpackt, und als er mein Erstaunen sieht, sagt er mit einem unbeschreiblichen und mir unvergeßlichen Lächeln: ›Ja, lieber Frommel, da unter mir liegt ein Kran­ker; ich mag nicht, daß er die Empfindung hat, ich trample ihm so über den Kopf hin …‹ Sehn Sie, Herr von Stechlin, da haben Sie den alten Kaiser.« 7 Welche Fassung die bessere sei, ist nicht leicht zu beantworten. Bei der ursprünglichen Erzählung bekommt die Tatsache, dass der Kaiser die Teppiche selber verlegte und nicht den Diener damit beauftragte, viel Aufmerksamkeit. Der Kaiser hielt die Regie in eigener Hand. Dass Kaiser Wilhelm über den Zustand des Schwerkranken informiert war, wird von Frommel als gegebene Tatsache erzählt. In der kurzen Fassung im Stechlin mutet der Zwischensatz»(was er wußte)« holprig an. Gelungen ist From­mels Ausdruck im Stechlin über das»über den Kopf Trampeln«. Die Fontane-Frommelsche Fassung ist viel kürzer als die Frommelsche, aber letztgenannte Version ist von den literarischen Mitteln aus gesehen