50 Fontane Blätter 100 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte qualitativ nicht geringer als die Anekdote aus dem Stechlin. Bei Frommels ursprünglichem Text in Nachtschmetterlinge war der Leser durch vielerlei Informationen über den Umgang des Hofpredigers mit dem Kaiser sehr gut vorbereitet auf die humane Tat des Kaisers. Diesen unterschiedlichen Wissensstand muss man beim Vergleich der Fassungen heranziehen. Das gleichwertige Gespräch zwischen Frommel und Fontanes Dubslav von Stechlin lässt hoffen auf einen Briefwechsel zwischen den beiden Autoren. Es sind jedoch weder Briefe Fontanes an Frommel noch Briefe Frommels an Fontane überliefert. Allerdings erscheint der Name Emil Frommels in vier Briefen und einer Tagebuchnotiz Fontanes. Die Tagebucheintragung datiert vom 6. Januar 1881 und enthält die Mitteilung: »Emilie und Martha zu Frommel, um eine Vorlesung über ›Epiphanias‹ zu hören.« 8 Die erste Brieferwähnung ist im Brief an Mete vom 26. Mai 1885 zu finden. Fontane schreibt, dass Emilie Fontane in der Matthäikirche bei der Trauung von Edwin Litty mit Gertrud Boretius anwesend war:»Mama war von der Traurede wenig entzückt – der arme Frommel wird am 3. Pfingstfeiertage wohl etwas abgepredigt gewesen sein[…]« 9 Die zweite Stelle ist eine Postkarte an Friedrich Fontane vom 27. August 1890. Hierin schreibt Fontane:»Habe Dank für die prompte und glückliche Erledigung der Gentzsache, wie für Deine hier gestern eingetroffene Karte. Frommel wird beim Anblick des Manuskripts wohl einen Schreck gekriegt haben wie seinerzeit Dominik und Dobert.« 10 Die Mitteilung im Brief an Karl Zöllner vom 5. September 1892 betrifft eine Erfahrung, die Mete während einer Bahnfahrt machte:»Ich sprach von ›Einsamkeit‹; die ist für uns da seit uns Martha grade heute vor 14 Tagen verlassen hat; sie hatte, beiläufig, wieder Fabelhaftes unterwegs zu bestehn und suchte schließlich Schutz bei Hofprediger Frommel, von dem sie wußte, daß er in einem Wagen 1. Klasse mit auf dem Zuge war. Frommel war auch sehr liebenswürdig. Das Abenteuer, das sie zu bestehn hatte, ging übrigens von einer vom schönen Geschlechte aus. Ein weiblicher Drachen, der bei glühender Hitze alle Fenster geschlossen haben wollte, so daß Martha, die Ozon braucht, beinah stickte.« 11 Inhaltlich bedeutsamer ist Fontanes Mitteilung in seinem Brief an Paul Schlenther vom 2. Dezember 1897:»Wir lesen jetzt alle drei Ihr Gerhart Hauptmann-Buch; ich bin am meisten zurück. Dann und wann bringt man mir aus der Nebenstube ein Kosthäppchen, so die reizende Frommel-Hannele-Geschichte[…].« Zur Verdeutlichung dieser Geschichte sei Schlenther selber zitiert. Er schreibt:»An das Ohr des Monarchen drängten sich Flüsterstimmen, die von Gotteslästerung raunten, weil sich dem kleinen Hannele das Bild des angebeteten Schulmeisters mit dem Bilde des Heilands im Fieberwahn verweht. Der Hof- und Garnisonprediger Emil Frommel soll eigens ins königliche Schauspielhaus entsandt worden sein, um über den blasphemischen Charakter des Stückes ein vertrauliches
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(2015) 100
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