Heft 
(2015) 100
Seite
51
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Fontane und Emil Frommel  Ester 51 Gutachten abzugeben. Aber man war bei der Wahl des Begutachters an den Unrechten gekommen; denn man war an einen Dichter gekommen. Frommel ging tief ergriffen und poetisch gehoben aus der Vorstellung, die er noch einmal mit steigender Liebe für das arme Hannele besucht haben soll.« 12 »Man war an einen Dichter gekommen«, das ist ein wahres Wort über Emil Frommel. Als Erzähler war Frommel ein Dichter in eigenem Rechte. In Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft erscheint Emil Frommel an erster Stelle als Theologe und Vikar bzw. Pfarrer. Dieses Lexikon berichtet von Frommels Geburt 1828 in Karlsruhe, seinen Studien in Halle, Erlangen und Heidelberg und seiner Tätigkeit als Garnisonspfarrer und ab 1872 als Hof­prediger in Berlin. Frommel starb 1896 in Plön, wo er die kaiserlichen Söh­ne unterrichten sollte. 13 An allen Charakterisierungen Frommels in Schrif­ten über ihn fällt die Betonung seiner Menschlichkeit, seiner Gläubigkeit und seiner künstlerischen Befähigung auf. Das genannte Lexikon schreibt etwa Folgendes:»Die einzigartige Vereinigung fester Glaubensüberzeu­gung, edeln Menschen- und Künstlertums und einer geradezu genialen Fä­higkeit der Einfühlung in die verschiedenartigsten Menschen ›vom Kai­ser bis zum Kutscher‹ machte ihn zum Vertrauten höchster und breitester Kreise der Reichshauptstadt.« 14 Immer wieder taucht in Veröffentlichungen über ihn und sogar in seinen eigenen Erzählbänden die Formel vom »volkstüm­lichen Schriftsteller« auf. Den Hauptteil von Frommels Schriften bilden die theologischen Verhandlungen, die Predigten und Schrifterklärungen. Vielleicht wird aber eine scharfe Trennung zwischen den eher pastoral-theologischen Schriften und den Erzählungen und Skizzen dem Ethos des Frommelschen Werks nicht gerecht. Die beiden Bereiche sind im Grunde nicht aus­ein­anderzuhalten. Es ist eher von einem Unterschied bei der Ak­zent­legung die Rede. Frommel äußert sich zu dieser doppelten Identität im Vorwort des Bandes Nachtschmetterlinge: »›Nachtschmetterlinge‹ habe ich die nachfolgenden Blätter genannt, weil für sie nur die stille Nacht übrig geblieben, um darin auszufliegen. Der Tag mit seiner Arbeit und Unruhe, mit seinem Kommen und Gehen der Menschen läßt und soll auch, wenn man ein Amt hat schließlich keine Zeit lassen zu dem, was doch mehr oder minder Schmuck, Erholung und Spielwerk ist. Wessen Beruf das Bücherschreiben ist, bei dem ists freilich etwas Anderes; er darf sich einschließen und ›Selbstverleugnung üben‹ d.h. sich verleugnen lassen. Das geht nun einmal bei unser Einem nicht, der seine Selbstverleugnung zumeist darin zu beweisen hat, daß er sich ohne Murren stören läßt.« 15 Frommels Unmöglichkeit, sich gegenüber der Außenwelt verleugnen zu lassen, hat einer eindrucksvollen Ernte an erzählenden Texten bestimmt