Heft 
(2015) 100
Seite
102
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102 Fontane Blätter 100 Rezensionen und Annotationen Fontanes Briefe ediert. Internationale wissenschaftliche Tagung des Theodor-Fontane-Archivs Potsdam, 18. bis 20. September 2013. Herausgegeben von Hanna Delf von Wolzogen und Rainer Falk. Würzburg: Königshausen& Neumann 2014(= Fontaneana Band 12. Hrsg. vom Theodor­Fontane-Archiv). 39,80 Theodor Fontane muss nicht mehr als leidenschaftlicher Briefschreiber entdeckt werden; er ist es längst. Die Tagung, die im September 2013 vom Potsdamer Theodor-Fontane-Archiv veranstaltet wurde und deren Frucht der vorliegende Sammelband ist, hatte anderes im Sinn. Nichts weniger als ein schmerzlich verzeichnetes»Desiderat der Forschung«(S. 11), eine voll­ständige und kritische Gesamtausgabe der Briefe von und an Fontane soll­te endlich auf den Weg gebracht werden. Dazu scheint die Zeit günstig: Die seit drei Jahrzehnten geöffneten Archive in Mittel- und Osteuropa und eine kontinuierliche Erwerbungspolitik des Archivs haben einen»weitge­hend abgeschlossenen Bestand«(S. 11) an Briefen gesichert. Der Sammel­band umrahmt, kommentiert und fokussiert die bisherigen, vor allem aber die noch zu leistenden Arbeiten an einer solchen Ausgabe. Die vier Teile des Bandes stellen auch eine unterschiedliche Gewich­tung der Beiträge dar. Nach einer zusammenfassenden Einführung der beiden Herausgeber eröffnet Konrad Ehlich den ersten Teil unter dem Titel Eine kurze Pragmatik des Briefes mit dem linguistischen Versuch, die sper­rige Gattung Brief in den Griff zu kriegen. Doch der Brief ist eine»trickrei­che Erscheinung«(S. 17); er entkommt sowohl dem Versuch der Einbin­dung in ein Modell sprachlicher Kommunikation als auch der Unterwerfung unter ein Konzept sprachlichen Handelns. Ehlich betont beim Brief neben der Schriftlichkeit(was zweifellos richtig ist) die»Zerdehnung« der Zeit­spanne zwischen Schreib- und Lesezeitpunkt(S. 22). Unbeachtet bleibt bei Ehlich hingegen die Materialität eines Briefes der Brief sei zwar ein »Ding«(S. 24), substantiell aber»formlos«(S. 23), so dass sich die katego­rialen Unterschiede zwischen dem Brief einerseits und Botenbericht und E-Mail andererseits einebnen und Ehlich behaupten kann:»Der Brief mu­tiert zur E-Mail«(S. 38). Das tut er natürlich nicht, die prinzipiellen Unter­schiede bleiben bestehen. Der Ansatz des SZ-Redakteurs Lothar Müller, der auf der Tagung sei­nen Beitrag als öffentlichen Abendvortrag präsentiert hat, setzt schon durch seinen Titel eine andere Betonung: Das doppelte Register. Über den Brief und das Briefpapier. Indem er die Materialität des Briefes akzeptiert und damit den Brief als»physisches Papierobjekt« mit»Unikatcharakter« wahrnehmen kann(S. 39), gelangt Müller zu bedenkenswerten Schlussfol­gerungen, etwa zur Versiegelung und Enthüllung des privaten Briefver­kehrs(S. 49) oder zur»grundlegenden Paradoxie des Briefes«(S. 50). Denn einerseits wird der Brief seit seiner Aufschwungszeit im 18. Jahrhundert