Heft 
(2015) 100
Seite
110
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110 Fontane Blätter 100 Rezensionen und Annotationen der über allem lag und in den Nachthimmel stieg, davon glühte. Und dieser ganz fremdartige Anblick machte sie unendlich traurig, denn nun erst be­griff sie: Die Welt war längst eine andere geworden, längst nicht mehr die ihre, und so gab es für sie auch keinen Weg mehr in ein anderes Leben hi­nein.« Mit diesem Besuch scheitert ihre letzte Hoffnung auf menschliche Nähe. Sie zieht sich in das verwaiste Pfaueninsel-Schloss zurück, macht das einstige Schlafzimmer des Königs zu ihrem und verbringt die Jahre fast ohne menschlichen Kontakt. Bis ein Besucher aus Ceylon sich ankündigt, in dem sie ihr verlorenes Kind zu erkennen glaubt. Sie schenkt ihm Kun­ckels rotes Glas, mit dem das Baby gern spielte, und die darin verdichtete Feuermetaphorik, die den Roman durchzieht, kulminiert: Am selben Abend gerät, wie historisch bezeugt, das Palmenhaus in Brand und Marie kommt in den Flammen um. Thomas Hettches Pfaueninsel wird bevölkert von Figuren und berührt Ereignisse, die Fontane-Lesern wohlbekannt sind. In ihrer Zwergenhaf­tigkeit und ihrer Außenseiterposition mitten im sozialen Gefüge lässt Hett­ches Marie an Fontanes Hoppenmarieken denken. Doch zugleich ist Maria Dorothea Strakon eine Dame der Gesellschaft, eine hochgebildete und lie­benswürdige Gesprächspartnerin, die in ihrer vergeblichen Sehnsucht nach gleichberechtigter Teilhabe am Leben der Menschen, aber auch in ihrer Vertrautheit mit Tieren und Pflanzen von fern an Fontanes Melusinen erinnert. Und, was mir als das Wichtigste erscheint: Die Figuren des Ro­mans blicken nicht von außen auf sie, sondern die Geschichte der Pfauen­insel und Preußens im 19. Jahrhundert wird weithin aus ihrer Perspektive erzählt. Darin ist viel eher Oskar Matzerath ihr Vorläufer als Hoppenma­rieken. Pfaueninsel ist ein moderner historischer Roman, der die Anverwand­lung des recherchierten Wissens im Ganzen vortrefflich meistert. Nur sel­ten erliegt der Autor der Versuchung, der Sprache und der Ausführlichkeit seiner Quellen allzu eng zu folgen, etwa wenn die exotischen Tiere aufge­listet werden, die auf der Pfaueninsel eintreffen(Kap. 4 und 5), einige we­nige Anachronismen unterlaufen ihm, wie die Erwähnung der Schlacht bei Großbeeren(1813) in einer Szene, die 1808 spielt(Kap. 1). Doch derglei­chen will nichts besagen angesichts einer wunderbar dichten Erzählung, deren sprachliche Gestaltung ebenso ansprechend ist wie ihre äußere Erscheinung: ein seidig glänzender Einband mit stilisierter Pfauenfeder. Christine Hehle