Ein Szenar zu Grete Minde 19 die nach Art einer Exposition weitere markante Züge Gretes herausarbeitet, nicht vor. Indem Fontane diese Handlungsbausteine hinzufügt, arbeitet er, so wäre eine These, die vielschichtige Fremdheit Gretes stärker heraus. Markante Änderungen zeigen sich auch am Schluss des Textes: »Situation« 13 etwa, die aus Aufzeichnungen im Notizbuch schöpft, 7 entfällt in der gedruckten Ausgabe, stattdessen folgt dort Kapitel 19, in dem Grete vor den Rat der Stadt Tangermünde tritt. Indem Fontane die»Situation« 13 verwirft, erspart er Grete einen weiteren Abstieg in die ›Niederungen‹ der Gesellschaft, etwa das ›Betteln‹, den Umgang mit»Spießgesellen«, die»Zudringlichkeiten«. 8 Darüber hinaus ändert er die Motivation von Gretes grausamem Handeln am Ende des Textes in entscheidenden Details. Denn in der SzenarSkizze»wartet« Grete auf einen»Sturmtag«, ihr Handeln erweist sich also als vorausschauend, strategisch. Dass sie in der veröffentlichten Fassung lediglich bis zum Abend wartet, gibt ihrem Handeln hingegen einen deutlich affektiveren, spontaneren Charakter. Fontane hat, das wäre eine weitere These, die Radikalität, mit der das Ende selbst der gedruckten Fassung von Grete Minde bis heute verstört, im Zuge der Textgenese sogar noch abgemildert. Diese exemplarischen, erheblich zu erweiternden und zu präzisierenden Beobachtungen zeigen, dass es sich bei dem vorliegenden Szenar um eine Konzeptskizze handelt, in der – anders als in den Notizbuchaufzeichnungen – zwar der übergreifende Handlungsbogen bereits steht, die jedoch hinsichtlich der Handlungsbausteine und deren Fügung, zudem in Hinblick auf die Ausgestaltung der Charaktere und deren Handlungsmotivation, schließlich auch in Bezug auf die(soziale und psychologische) Radikalität von Gretes Handeln eine Phase in der narrativen Komposition markiert, die noch erhebliche Bewegungen erfahren wird. Dass Fontane in dem Szenar selbst Einfügungen und Ergänzungen vornimmt oder Alternativen skizziert(vgl. die mit»Oder vielleicht besser so« beginnende Passage auf V I, 6, Bl. 6v oder den mit»Hier oder vorher« eröffnenden, dann am Rand fortgesetzten Einschub oben auf L 14), ist handschriftlicher Ausdruck einer solchen ›Konzeption in Bewegung‹. Wie dieses Szenar und der auf ihm dokumentierte Stand der Konzeption, im Allgemeinen wie im Detail, in den Prozess der Entstehung von Grete Minde einzuordnen sind, sollte in einer textgenetischen, systematisch vergleichenden Analyse geklärt werden, die auch weitere bekannte Dispositionsentwürfe einzubeziehen hätte, etwa jene, die auf Rückseiten des Manuskripts von L’Adultera überliefert sind. 9
Heft
(2018) 105
Seite
19
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten