Heft 
(2018) 105
Seite
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Homer schläft! Rasch 33 wiesen. Ganz ignoriert wurde Fontane vom Berliner Börsen-Courier je­doch nicht. Und der Nebel lichtet sich ein wenig, wenn man ein kurzes polemisches Scharmützel betrachtet, das sich 1887 zutrug und das den Dichter nachhaltig erzürnt haben dürfte. 13 Zwischen dem 24. Juli und 23. August 1887 erschien als Vorabdruck in der Morgenausgabe der Vossischen Zeitung Fontanes Roman Irrungen, Wirrungen. Jede Nummer brachte ein Kapitel. Bekanntlich stand dieser Vorabdruck unter einem ungünstigen Stern, da sich ein Teil der bürgerli­chen Zeitungsleser über die Liebesgeschichte eines Offiziers Botho von Rienäcker mit einer Schneidermamsell Lene Nimptsch entrüstete und vor allem von einer gemeinsamen Übernachtung des unverheirateten Paa­res in einem Gasthaus abgestoßen fühlte. Es soll zu Kündigungen von Abonnements gekommen und sogar das böse Wort»Hurengeschichte« gefallen sein. Im 11. bis 13. Kapitel weilen Botho und Lene im Gasthaus »Hankels Ablage« südlich von Berlin und verbringen dort eine Sommer­nacht. Lene ist sehr glücklich. Das 12. Kapitel des Romans(in der Erzäh­lung ist die Nacht inzwischen hereingebrochen) schließt mit folgendem kurzen Absatz:»Und sie schmiegte sich an ihn und blickte, während sie die Augen schloß, mit einem Ausdruck höchsten Glückes zu ihm auf.« Fontane, der sich in seinen Erzählwerken bei der Schilderung von Liebesszenen sehr zurückhält, hat auch hier nur andeutungsweise die ganz sorglose, sinnlich-beglückte Stimmung des Paares wiedergegeben. Das zärtliche Schlussbild mag der eine oder andere Leser als misslungen betrachtet ha­ben. Denn wie kann man nach den Gesetzen der Logik mit geschlossenen Augen zu jemandem aufblicken? Das fragte sich umgehend auch ein nicht genannter Redakteur des Ber­liner Börsen-Couriers, der drei Tage später(am 6. August war das 12. Kapi­tel in der Vossischen Zeitung erschienen) folgende Glosse veröffentlicht: »Was nicht auch einem Schriftsteller und Dichter von Ruf alles begeg­nen kann! es ist ein Trost für manch kleineres Licht in der Tagesliteratur. Da schreibt Theodor Fo n t a n e im zwölften Capitel seiner Novelle ›Irrun­gen und Wirrungen‹(Nr. 361 Voss. Ztg.): ›Und sie schmiegte sich an ihn und b l ic k t e, während sie die Augen s c h l, mit einem Ausdruck höchs­ten Glückes zu ihm a u f. Hatte nicht auch Fontane sein geistig Auge ge­schlossen, als er diesen glückstrahlenden Blick eines geschlossenen Auges sah? Nun, zuweilen schlief ja auch der gute Vater Homer!« 14 Der Berliner Börsen-Courier greift damit ein geflügeltes Wort auf, das auf die Ars poetica des Horaz zurückgeht:»Quandoque bonus dormitat Homerus«(zuweilen schläft sogar der gute Homer). 15 Das bedeutet: Selbst dem besten Dichter passieren mitunter böse Schnitzer. Diese spöttische Bemerkung griff Die Post sogleich auf und druckte sie in ihrer Sparte Lokales am 10. August 1887 nach, verhielt sich danach aber passiv zur ganzen Angelegenheit. Eigene Stellungnahmen erfolgten nicht.