Heft 
(2018) 105
Seite
41
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»Im Übrigen ist alles hinüber« Ritter 41 ­Epitaphien und ebenso Aphorismen, Anekdoten, Apophthegmata, Epi­gramme, Gebete, Lieder, Witze, Kurzgeschichten sowie novellistisch an­mutende Begebenheiten 10 spiegeln seine Praktiken des Einsammelns. Die Wanderungen präsentieren sich damit als mediales, materiales und vor al­lem generisches Reservoir, in dem Fontane kleine Formen akkumuliert, archiviert, verknüpft und poetologisch neu arrangiert. 11 Mit unterschiedli­chen Textsorten und Medienformaten komponiert und dokumentiert er seine Reisefeuilletons und verknüpft damit ein subtiles Netz aus histori­schen Koordinaten mit den Orten seiner Wanderungen und dem Ziel der Auf- und Entdeckung eines zunächst nicht sichtbaren historischen Ter­rains kraft der Imagination. 12 Die Wiederbelebung solcher Koordinaten, die Etablierung einer er­fahrbaren und begehbaren, also einer nachvollziehbaren historischen Landkarte funktioniert aber nicht immer ohne Weiteres: Fontane muss bei seinen Ausflügen häufig die Erfahrung machen, dass Geschichte überhaupt nicht mehr(re-)konstruierbar ist, denn die gesuchte und erwartete materi­elle Kultur ist oftmals enttäuschend, schadhaft, fehlerhaft, unvollständig, ästhetisch wenig überzeugend oder gar komplett verschwunden und die lokal Befragten sind sich der Geschichte ihres Ortes nicht mehr bewusst. Das in kleinen Formen generierte und mitgeteilte Wissen tritt so in einen eklatanten Widerspruch zur persönlichen Inaugenscheinnahme vor Ort. Erinnern wird zwiespältig, aus Erwartung wird Enttäuschung. Dieser Vorgang, der sich an zahlreichen Orten der Wanderungen wiederholt und breiten Eingang in die Reisefeuilletons fand, hat für Fontane jedoch stets poetischen Mehrwert. So wie er mittels diverser Formen und Formate Ge­schichte und Geschichten generiert, aufbereitet und verknüpft, so formt er aus persönlich erlebten, enttäuschenden Begehungen ein mobiles, modu­lar arrangierbares narratives Muster heraus. Dieses Muster speichert ein­gekapselt Wissen und Wahrnehmung um jene Enttäuschungen, die dann im erzählerischen Werk literarisch transformiert erneuten Niederschlag finden. Bemerkenswert ist darüber hinaus, wie Fontane den Leserinnen und Lesern seiner Wanderungen aufzeigt, trotz enttäuschender Begehun­gen Wissen zu ver-räumlichen und ein Netz historischer Zusammenhänge zu einer mentalen Karte zu verknüpfen. 13 Wie Fontane Gesehenes literarisch produktiv transformiert, wird im Folgenden am Beispiel des Enttäuschenden in den Wanderungen vornehm­lich mittels der Reisefeuilletons aus den Bänden Das Oderland. Barnim­Lebus(1863), Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Branden­burg(1873) und Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow(1882) und hinsichtlich des erzählerischen Werks exemplarisch in den Romanen Vor dem Sturm(1878) und Cécile(1886) aufgezeigt.