42 Fontane Blätter 105 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Fontanes archäologischer Blick: Erwarten, Erkunden,(Re)konstruieren In weiten Teilen sind die Wanderungen der Perspektive eines Beobachters aus zeitlicher Distanz, dem rekonstruierenden, vergleichenden und klassifizierenden Blick eines Archäologen anzunähern: Mit der Generierung und Systematisierung von Wissensbeständen soll Altes als Neues wieder in die Geschichte zurückgeführt und damit aktuell verfügbar gemacht werden. 14 Fontanes Spurensuche in einem topographisch umgrenzten Raum gilt der Dechiffrierung von Zeichen, die eine verschwundene oder im Verschwinden begriffene Kultur freilegen sollen. 15 Der Unterschied ist, dass Fontane die materielle Kultur mit einer semantischen Ebene aus Alter, Mythos, Zeugenschaft vorab überlagert. 16 Im Vorwort zur zweiten Auflage des ersten Bandes Die Grafschaft Ruppin(1865) fordert er, die Mark Brandenburg mit anderen Augen zu erkunden. 17 Der Zeichencharakter von Landschaft und Kultur ist also erst vor der Folie historischer Kenntnisse zu entziffern und poetisch wiederzubeleben. 18 Die empirisch erfahrbare materielle Kultur ist für Fontane lediglich der Eingang zu einem dahinter erfahrbaren historischen Wesenskern. 19 Den Leserinnen und Lesern entfaltet sich die Mark Brandenburg ergo als ein historisch zu codierender kultureller Erinnerungsraum, als eine dichte Memoriallandschaft und als Raum voller Mnemotope. Umgekehrt folgt daraus jedoch die Konsequenz, dass ohne Wissen um die Geschichte das Gesehene nicht richtig wahrgenommen werden kann oder trivial bleibt. 20 Fontane weiß und braucht das: Denn die Gebäude und Denkmäler Brandenburgs machen keine Ausnahme von der Tristesse der flachen und sandigen Landschaft: Statt Sehenswürdigkeiten begegnet oft Verblichenes, Verstaubtes, Verfallenes. 21 An einigen Orten in der Mark Brandenburg bleiben dem Wanderer kaum noch sichtbare Spuren einstiger Besiedlung, die sich im Relief der Natur abzeichnen, etwa an der Stelle, wo einst Schloss Beuthen stand: Fontane besucht im Rahmen seiner frühen märkischen Reisefeuilletons die Orte der einstigen Nutheburgen. Gräben und die von Flusswindungen eingefasste Stelle deuten dem Besucher den einstigen Standort der mittelalterlichen quitzowschen Burg nur noch an:» Ein paar Weiden und Akazien überschatten jetzt den Rasen, der ein Stück märkischer Geschichte deckt, und einzelne Fischernetze spannen sich zwischen den Baumstämmen aus. Im übrigen ist alles hinüber, und ein Kahn, ohne Bank und Steuer, der halb verborgen im Schilfe liegt, unterhält die Verbindung zwischen dem Inselchen und der Welt«. 22 Hugo Aust zufolge besteht die Poetik der Wanderungen hinsichtlich ihrer Orte aus folgenden Punkten: Im Erkunden erfasst der Erzähler einen Raum als Thema, qualifiziert zugleich seinen Zustand, berücksichtigt seine mediale Präsenz in Lied, Sage, Chronik, Anekdote, exponiert dessen spezifische historische Funktionen und richtet den Blickpunkt ein, von dem alles
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(2018) 105
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42
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