»Im Übrigen ist alles hinüber« Ritter 45 ein sentimentales Gefühl zu wecken« 35 . Die verblassenden Inschriften der Gasthäuser bezeugen diese beklemmende Erfahrung, während sich die Nutheburgen dem Wanderer als eine» Fata Morgana« 36 in der Mark Brandenburg erweisen. 37 Weitere Enttäuschungen ließen sich hier mühelos anschließen, etwa das benachbarte Trebbin, das Fontane als Ausgangspunkt einer biographischen Würdigung des Malers Wilhelm Hensel im Jahr 1869 bereiste und vor Ort nichts als Enttäuschungen vorfand:» Die Kirche ist so trist wie die Stadt und die Stadt so trist wie die Kirche«. 38 Als Baustein einer Poetik der Enttäuschung bedarf es also einer Erwartungshaltung, die zweifach gefüttert wird, und zwar zunächst durch ein Wissen oder zumindest eine Ahnung um das einst Historische des Ortes und dann durch die meist in offener Kutsche durch unberührte Natur aufgebaute Spannung des Herannahens. 39 Und auch hierin gilt es dem Wanderer, ein historisches Koordinatennetz anzulegen. Zunächst wird generiertes Wissen vermittelt, die sich daraus sukzessiv aufbauende Erwartung wird zu einem Anlegungsakt. Das Herannahen impliziert eine geografische Veränderung, bedient also räumliche Koordinaten, während die durch Wissen vermittelte zeitliche Dimension als ein weiterer Parameter konstitutiv wird und dann in die vorhandene materielle Kultur als Zielkoordinate der jeweiligen Erwartung mündet. Serielle Enttäuschung im Dialog Dieses Enttäuschungsmuster manifestiert sich nicht nur in Denkmälern materieller Kultur, sondern ebenso in Naturräumen und Naturdenkmälern. 1881 reist Fontane nach Rauen, einem wenig bekannten Winkel der Mark, der» nichtsdestoweniger seine Schönheit und seine Geschichte hat«. 40 Diese Reise wurde im Band Spreeland als Aufsatz Eine Osterfahrt in das Land Beeskow-Storkow zu einem der lebendigsten Reisefeuilletons der Wanderungen überhaupt ausgestaltet. Besonders hervorzuheben ist die dialogische Struktur, insbesondere zwischen Fontane und seinem Kutscher Carl Moll. Dieser ist einerseits eine Zufallsbekanntschaft, eine Person, die in einem befristeten Dienstverhältnis zu Fontane steht. Anderseits ist er Gesprächspartner, der eigene Ansichten über Landschaft und Gesellschaft im Wandel, über zunehmend unüberbrückbare Unterschiede von urbanem und ruralem Leben, über Ökonomie, prekäre Aristokratie und eine neu entstandene Warenkultur entfaltet. Mit Notizbuch, aber sonst ohne» Wissenskram« 41 fährt Fontane gleich zu Beginn der Reise in das» romantische Land« 42 zu den damals berühmten Markgrafensteinen, das sind Granitfindlinge, von denen einer 1834 zur größten Granitschale der Welt verarbeitet wurde und im Lustgarten vor
Heft  
(2018) 105
Seite
45
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