Heft 
(2018) 105
Seite
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»Im Übrigen ist alles hinüber« Ritter 45 ein sentimentales Gefühl zu wecken« 35 . Die verblassenden Inschriften der Gasthäuser bezeugen diese beklemmende Erfahrung, während sich die Nutheburgen dem Wanderer als eine» Fata Morgana« 36 in der Mark Bran­denburg erweisen. 37 Weitere Enttäuschungen ließen sich hier mühelos anschließen, etwa das benachbarte Trebbin, das Fontane als Ausgangspunkt einer biogra­phischen Würdigung des Malers Wilhelm Hensel im Jahr 1869 bereiste und vor Ort nichts als Enttäuschungen vorfand:» Die Kirche ist so trist wie die Stadt und die Stadt so trist wie die Kirche«. 38 Als Baustein einer Poetik der Enttäuschung bedarf es also einer Erwar­tungshaltung, die zweifach gefüttert wird, und zwar zunächst durch ein Wissen oder zumindest eine Ahnung um das einst Historische des Ortes und dann durch die meist in offener Kutsche durch unberührte Natur auf­gebaute Spannung des Herannahens. 39 Und auch hierin gilt es dem Wan­derer, ein historisches Koordinatennetz anzulegen. Zunächst wird gene­riertes Wissen vermittelt, die sich daraus sukzessiv aufbauende Erwartung wird zu einem Anlegungsakt. Das Herannahen impliziert eine geografi­sche Veränderung, bedient also räumliche Koordinaten, während die durch Wissen vermittelte zeitliche Dimension als ein weiterer Parameter konstitutiv wird und dann in die vorhandene materielle Kultur als Zielko­ordinate der jeweiligen Erwartung mündet. Serielle Enttäuschung im Dialog Dieses Enttäuschungsmuster manifestiert sich nicht nur in Denkmälern materieller Kultur, sondern ebenso in Naturräumen und Naturdenkmä­lern. 1881 reist Fontane nach Rauen, einem wenig bekannten Winkel der Mark, der» nichtsdestoweniger seine Schönheit und seine Geschichte hat«. 40 Diese Reise wurde im Band Spreeland als Aufsatz Eine Osterfahrt in das Land Beeskow-Storkow zu einem der lebendigsten Reisefeuilletons der Wanderungen überhaupt ausgestaltet. Besonders hervorzuheben ist die dialogische Struktur, insbesondere zwischen Fontane und seinem Kut­scher Carl Moll. Dieser ist einerseits eine Zufallsbekanntschaft, eine Per­son, die in einem befristeten Dienstverhältnis zu Fontane steht. Anderseits ist er Gesprächspartner, der eigene Ansichten über Landschaft und Gesell­schaft im Wandel, über zunehmend unüberbrückbare Unterschiede von urbanem und ruralem Leben, über Ökonomie, prekäre Aristokratie und eine neu entstandene Warenkultur entfaltet. Mit Notizbuch, aber sonst ohne» Wissenskram« 41 fährt Fontane gleich zu Beginn der Reise in das» romantische Land« 42 zu den damals berühmten Markgrafensteinen, das sind Granitfindlinge, von denen einer 1834 zur größten Granitschale der Welt verarbeitet wurde und im Lustgarten vor