Heft 
(2018) 105
Seite
47
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»Im Übrigen ist alles hinüber« Ritter 47 »Ja, wie soll ich es sagen? Es is damit wie mit dem Schiffsjungen, dem der silberne Teekessel ins Meer gefallen war, und der dann ärgerlich und pfif­fig fragte: ›Is das verloren, wovon man weiß, wos is? Und so kann man auch beim richtigen Kugelfang fragen. Inn Sand stecken sie drin, und je­der weiß ganz genau, wo sie sind. Aber weg sind sie doch. Und nun sehen Sie sich die klugen Rauener an! An den Granit schlägt die Kugel und klatsch, da liegt sie«. 46 Der Konnex von Fahren, Schauen und Plaudern bietet die Möglichkeit, Dimensionen von Raum und Zeit bei Erfassung der Eigenerfahrung mitei­nander zu verbinden und somit die Region erzählerisch als historische Landschaft zu markieren. 47 Im Scheitern gilt dies gleichermaßen, wie ­Fontanes Ausflug nach Rauen belegt. Nach dieser Enttäuschung fährt Moll seinen Fahrgast» im Zickzack auf eine sandige Höhe« 48 , die Fontane an prähistorische Fundplätze erinnert. Von einem erhöhten Blick aus sehen sie in der Ferne die Türme Berlins aus einem Nebelschleier herausragen. Diese, in den Wanderungen beliebte pa­noramatische Fernsicht hat den Vorteil, dass sich die erblickte Landschaft gleichsam» von selbst zu einem vollendeten Ganzen fügt«. 49 Fontane inter­essiert sich aber mehr für die Namen der bunt davor gestreuten Dörfer. Moll benennt jene, die Fontane sogleich in sein historisches Koordinaten­system einzupflegen weiß, besonders bei den Gütern des Adelsgeschlechts der Löschebrands rund um den Scharmützelsee wird sein Interesse ge­weckt. Diese scheinbar beiläufig erzählte Information verdeutlicht, wie eine aus historischen Vorkenntnissen gespeiste Erwartungshaltung ge­nährt und zugleich erzählt wird und darin die Erwartungen von Leserin­nen und Lesern steigert und zugleich steuert, denn bereits zu Beginn des Reisefeuilletons erwähnt Fontane den Namen dieses Geschlechts, welches ihn unter den alten Familien dieses ehemaligen lausitzischen Teils der Mark Brandenburg am meisten interessiere. 50 Auf den prähistorisch an­mutenden Steinbänken findet der Wanderer schließlich mit Hilfe Molls die gesuchte Fährte, die ihn zu den Löschebrands führen soll:» Nun sehen Sie, da müssen wir hin. Ich denke mir, daß ich da vielerlei finden werde: Gräber und Türkenglocken, und Denkmäler und Inschriften. Und vielleicht auch einen Pfeiler mit ein paar eingemauerten Nonnen, oder ´ne Sakristei mit ´nem vergrabenen Schatz«. 51 Mit einer enthusiastischen und quasi-archäologischen Erwartungshal­tung enthebt sich Fontane seiner Zeit, er sucht vergangene materielle Kul­tur als Beweismaterial, um mit deren Wiederbelebung seinem Publikum Koordinaten preußischer Geschichte les- und nutzbar zu machen. Nach der Anfahrt per Kutsche erlebt er den Scharmützelsee als Natur­idyll, die Natur ist Durchgang, Eröffnung, Umgebung und dient der vor­dergründigen Belebung des Raums, eigentliches Interesse erwacht jedoch