Heft 
(2018) 105
Seite
49
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»Im Übrigen ist alles hinüber« Ritter 49 fetzen und zerbröckelte Feldmarschallsstäbe, Kettenkugeln und Stulpstie­fel, und unter Umständen auch wohl rostige Degen, mit denen ein Bruder den andern über den Haufen gestochen. Ist denn gar nicht so was hier? Es ist doch eigentlich gênable für eine berühmte alte Familie, wenn all der­gleichen bei Toten und Lebendigen fehlt. Es darf nicht fehlen. Es muß der­gleichen geben«. 56 Fontanes Einspruch ist an dieser Stelle besonders aufschlussreich, ge­rade hinsichtlich der Frage, wie archiviertes Wissen zur Disposition ge­stellt erscheint. Mehrere Deutungsebenen greifen hier ineinander: In der Aufzählung der weit zurückliegenden Ereignisse wird zunächst die feste Verankerung Brandenburgs in der Geschichte Europas bestätigt, darüber hinaus kann hier eine ironische Anspielung auf das im Gegensatz zur preußischen Gegenwart barbarische 17. Jahrhundert gelesen werden, ebenso kann eine Diskrepanz zwischen dem historischen Oderland und dem touristischen Spreeland gesehen werden, auf jeden Fall wird eine des­illusionierende Diskrepanz zwischen Wissen und Erwartung in der Ge­genwart manifest. Der 30-jährige Krieg, die Türkenkriege und ebenso die Schlacht von Fehrbellin sind dem kulturellen Gedächtnis in der Mark Brandenburg des mittleren und späten 19. Jahrhundert offenbar weitge­hend entschwunden. Fontane wird dennoch fündig, der Dorflehrer kann ihm im weiteren Verlauf ihres Dialogs zwar keine begehbare Gruft, aber mit dem Befund einer ehemaligen Gruft immerhin ein Echo, ein Rauschen des Einstigen zeigen. Der Dorflehrer weiß also, wo mal etwas war, und zeigt Fontane die zugeschüttete Gruft, die dieser prüfend mit seinem Wanderstock abklopft, » und als ich mich überzeugt hatte, daß er recht habe, dankt ich ihm und verließ die Kirche mit dem Hoch- und Vollgefühle, die Löschebrandsche Gruftstelle nicht bloß hypothetisch ermutmaßt, sondern sie mit Hülfe des ›hohlen Klanges‹ über jeden Zweifel hinaus historisch festgestellt zu ­haben«. 57 Ein hohler Klang, das Echo des Einstigen ist in diesem Fall einziger Beleg, um der imaginierten historischen Landkarte eine weitere Koordina­te hinzufügen zu können. Dieser archäologische Befund reicht dem Wan­derer zur Verifizierung, es ist das Klopfen mit dem Wanderstock, wodurch die Verbindung von Räumen und Orten mit historisch signifikanten Daten ein Denken stabilisiert, bei dem das Hier und Jetzt den momentanen raum­zeitlichen Endpunkt einer längeren historisch-genealogischen Entwick­lung darstellt und damit stets konnotativ aktualisiert werden kann, beim Wanderer ebenso wie bei seinen Leserinnen und Lesern. 58 Die Rheinsber­ger Kirche im Band Die Grafschaft Ruppin offenbart analoge akustische Befunde: Die Särge der Familie von Eichstädt, Sparr und von Bredow sind nur am Schall des Tritts oberhalb der zugemauerten Gruft erkennbar. 59 Derartige Befunde sind enttäuschende Ergebnisse, die aus Erwartungen