Heft 
(2018) 105
Seite
50
Einzelbild herunterladen

50 Fontane Blätter 105 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte und Erfahrungen gespeist sind, die Fontane in anderen Grabstätten, etwa dem begehbaren Grabgewölbe des alten Derfflinger in Gusow aus dem Band Das Oderland gemacht hat, dessen Mischung aus» Frivolität und Ku­riositätenkrämerei« 60 dem Wanderer einen wahren Strauß an Anekdoten und historischen Verweisen liefert. Dennoch, trotz enttäuschender Bege­hung dient die zugeschüttete Gruft seinem subtilen historischen Verweis­system als Belegstelle. Musternieten: Vor dem Sturm, Cécile und ein Schloss im Oderland Die anhand einiger Reisefeuilletons aus den Wanderungen beschriebenen Strukturen von Spannungs- und Erwartungsaufbau sowie erfolgter Ent­täuschung hinsichtlich von Orten, Naturräumen und materieller Kultur, insbesondere bei Landpartien und Kirchenbegehungen, haben Eingang in Fontanes erzählerisches Werk gefunden. 61 Analoge Erfahrungsschilde­rungen finden sich bereits in dem Roman Vor dem Sturm(1878). Die winterliche Landpartie Kathinka Ladalinskis von Berlin nach Klos­ter Lehnin etwa gestaltet sich zunächst als pittoreske Landschaftserfah­rung:» Zuerst Tannen. Ah, wie die Stille des Waldes alles labte! Der Wind schwieg, und jedes Wort, auch wenn leise gesprochen, klang laut im Wi­derhall. Ein warmer Harzduft war in der Luft und steigerte das Gefühl des Behagens«. 62 Das durch Naturerfahrung im Modus des Vorbeifahrens ent­standene wohlige Gefühl steigert die Erwartungshaltung bezüglich des Reiseziels, doch Kloster Lehnin kann die Erwartung nicht stillen. Die Ge­sellschaft erwartet bei der Ankunft in Lehnin romantische Ruinen und Gräber berühmter Geschlechter, doch» nichtsdestoweniger konnte keinem Beobachter entgehen, daß alles enttäuscht war, besonders die Damen. Sie hatten eben mehr erwartet«. 63 Durch Plünderungen, Verwitterung und amtliche Verwüstung ist nur noch ein einzelnes Grab zu sehen, Leserinnen und Leser wissen nicht, ob der Erzähler des Romans oder der Wanderer im Band Havelland spricht:» Nichts mehr von Nischen und Marienbildern, von Kapellen und askanischen Grabsteinen, nur Otto VI.[] behauptet auch in künstlerischer Beziehung ein interessantes Überbleibsel aus geschwun­dener Zeit seinen Ehrenplatz an alter Stelle«. 64 Nicht nur an dieser Stelle belegen die Askanier und die mit ihnen ver­bundene materielle Kultur in der Mark Brandenburg eine historische Leer­stelle. Die Askanier stehen metaphorisch für Fontanes Ansatz, dass Ge­schichte zunächst imaginiert werden muss, damit sie als Koordinate eines preußischen Memorationssystems überhaupt aktiviert werden kann oder eben nicht. 65 Das Scheitern eines derartigen Aktivierungsversuchs offen­bart der Privatgelehrte Eginhard aus dem Grunde im Roman Cécile(1886) offenkundig. Dessen historische Spurensuche erweist sich als Farce und