»Im Übrigen ist alles hinüber« Ritter 51 das Wissen über askanische oder sonstige Ottos im Zeitalter Ottos von Bismarck als obsolet, wie der ihn begleitende Emeritus im Laufe des Gespräches anmerkt. 66 In dem Roman Cécile kommt ein weiterer Höhepunkt enttäuschter Erwartung und zugleich ein Pendant zum Dorfschullehrer in Pieskow mit zugeschütteter Adelsgruft aus dem Aufsatz Eine Osterfahrt in das Land Beeskow-Storkow im Band Spreeland zutage. Im Ausflug der Harzer Hotelgesellschaft nach Quedlinburg und der dortigen Besichtigung des Schlosses vereint der Erzähler Erwartung, Begehung, Blicklenkung und Enttäuschung vor der Folie historischer Kenntnisse, die mittels kleiner Formen, meist historischer Anekdoten, die Besucher begleiten: » Dieser[der Kastellan][…] fiel aber durch ein unsichres und fast ein schlechtes Gewissen verratendes Auftreten einigermaßen auf, ganz wie jemand, der Lotterielose feilbietet, von denen er weiß, daß es Nieten sind. Und wirklich, sein Schloß konnte, durch alle Räume hin, als eine wahre Musterniete gelten. Was es vordem an Kostbarkeiten besessen hatte, war längst fort, und so lag ihm, dem Hüter ehemaliger Herrlichkeit, nur ob, über Dinge zu sprechen, die nicht mehr da waren. Eine nicht leichte Pflicht. Er unterzog sich derselben aber mit vielem Geschick, indem er den herkömmlichen, an vorhandene Sehenswürdigkeiten anknüpfenden Kastellans-Vortrag in einen umgekehrt sich mit dem Verschwundenen beschäftigenden Geschichts-Vortrag umwandelte. Voll richtigen Instinkts ersah er hierbei den Wert der historischen Anekdote, die denn auch beständig aus der Verlegenheit helfen mußte«. 67 Der Kastellan eröffnet jeden Raum mit Listung des ehemaligen Inventars:» Und hier im Schlosse war auch der Thronsaal.[…] Und hier wo die Tapete fehlt, genau hier stand der Thron selbst[…]. Und hier[…] in diesem Goldrahmen befand sich die Hauptsehenswürdigkeit des Schlosses: der Spiegel aus Bergkrystall«. 68 St. Arnaud, Gordon und Rosa bekräftigen den Vorzug des anekdotenhaft angetragenen historischen Wissens gegenüber dem fehlenden Befund, historisches Wissen stabilisiert sich in ihnen. Dass Geschichte in Form pointiert eingestreuter Anekdoten eingängiger ist als materielle Kultur, teilen somit alle Anwesenden bis auf eine, Cécile. Die geringe Zugangshürde der plauderhaft vorgetragenen Anekdote verfehlt bei ihr jede Wirkung. Cécile indes bemängelt das Fehlen der Dinge, und sie hätte sich viel lieber in dem Kristallspiegel bewundert. 69 Das Schloss in Quedlinburg oszilliert also zwischen Präsenz und Abwesenheit des Historischen, abhängig jeweils vom Adressat. Für Cécile ist das Schloss im doppelten Sinne Musterniete, es ist nur noch Echo des Einstigen, und seine gewesene Bedeutung durch das Fehlen jeglichen Inventars ist nicht mehr dechiffrierbar. Cécile kann in den leeren Räumen nichts mehr sehen und Geschichte nicht wiederbeleben, die fehlende Referenz mündet in Enttäuschung.
Heft  
(2018) 105
Seite
51
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