52 Fontane Blätter 105 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Musternieten wie in Cécile sind ein wiederkehrendes Motiv in allen Bänden der Wanderungen. An Orten wie Schloss Kossenblatt im Band Das Oderland oder Schloss Wusterhausen und Schloss Köpenick im Band Spreeland beruhen alle Enttäuschungen auf einer vorherigen, durch historische Anekdoten oder mittels Sagen und Legenden zur Verfügung gestellten Erwartung auf Historisches, die an jenen Orten immer auch den Anspruch auf Authentisches und Auratisches in sich trägt und vermittelt. Schloss Kossenblatt ist diesbezüglich besonders einschlägig, hier verbindet sich die Verknüpfung einer enttäuschten Erwartung bei Gebäude und Interieur, rückgekoppelt mit seinem einstigen Bewohner. Kossenblatt war Sitz von Generalfeldmarschall Hans Albrecht von Barfus(1635–1704), der sich wie Hans Adam von Schöning(1641–1696) aus dem benachbarten Tamsel in den Türkenkriegen vor Ofen 1686 verdient gemacht hatte. Danach blieben die beiden vor allem als Antipoden hinsichtlich eitler Kränkungen und Streitereien im Oderbruch bekannt. 70 Die Besichtigung des Schlosses, welches Barfus 1699 kaufte, gestaltet sich als Fortsetzung seiner charakterlichen Eigenschaften, und es präsentiert sich selbst in seinem Nachleben als Jagdschloss von Friedrich Wilhelm I. als » ein imposantes Nichts, eine würdevolle Leere – die Dimensionen eines Schlosses und die Nüchternheit einer Kaserne[…]. Aber erst in den Zimmern der Beletage erreicht die Trübseligkeit ihren höchsten Grad. Hechtgrau gestrichene Türen tragen allerhand Inschriften in gelber Ölfarbe«. 71 Die Begehung des Schlosses gipfelt im Auffinden toter Vögel, die wie ein Ariadnefaden den Wanderer von Raum zu Raum geleiten, den Ort als einen gewesenen markieren und jeden Versuch einer memorierenden Erfahrung ad absurdum führen: » Wir durchschritten endlich auch den Rest des Erdgeschosses und fanden seine Räume, wie wir die des ersten Stockes gefunden hatten: groß, öde, weiß. Dazu hohe Fenster und hohe Kamine. Sie hatten bloß ein charakteristisches Zeichen, und dieses Zeichen mehrte nur unser Grauen. In jedem Zimmer lag ein toter Vogel, in manchem zwei, auch drei. In Sturmnächten hatten sie Schutz gesucht in den Rauchfängen, und immer tiefer nach unten steigend, waren sie zuletzt wie in eine Vogelfalle hineingeraten. Und hier vergebens einen Ausweg suchend, hin und her flatternd in dem weiten Gefängnis, waren sie verhungert«. 72 Schloss Kossenblatt ist nicht nur ein Ort des Verfalls, ein regelrechter Schauer überkommt den Besucher in den tristen und düsteren Räumen. In seiner desaströsen Wirkung ist Schloss Kossenblatt nicht einmal mit dem Eindruck von Schloss Köpenick, das» weniger schön als von entschieden historischem Gepräge« 73 ist, der Wirkung von Schloss Königs Wusterhausen,» ein schlimmer Platz für ästhetischen Sinn« 74 , oder der Erscheinung von Schloss Oranienburg, welches nach dem Tod König Friedrichs I.» von der Liste der Residenzen so gut wie gestrichen« 75 wurde, zu vergleichen.
Heft
(2018) 105
Seite
52
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