54 Fontane Blätter 105 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Ein Bild hat die Macht, den Betrachter zu kränken, zu verletzen, abzustoßen. 82 Ein Bild evoziert also mitunter Verdruss. Der Erzähler in Vor dem Sturm erfasst hier die Manifestierung einer spürbaren Wirkung auf das Empfinden, Denken und Handeln des betrachtenden Subjekts, in diesem Falle Geheimrat Ladalinskis, die aus der Kraft des Bildes und der Wechselwirkung mit dem betrachtenden, berührenden oder hörenden Gegenüber entsteht. 83 Fazit Auch wenn die Wanderungen Walter Erhart zufolge» fast gänzlich im Zeichen des ›Nicht-mehr‹« 84 stehen, so ist abschließend eine wesentliche Einschränkung zu den bisherigen Beobachtungen zu machen: Schloss Beuthen, Saarmund, Rauen, Pieskow, Lehnin oder Schloss Kossenblatt stehen nicht pars pro toto für die Mark Brandenburg; diesen enttäuschenden Orten und Naturräumen stehen Glanzlichter wie die Schinkelkirche in Neu-Hardenberg, repräsentative Bauten wie Schloss Friedersdorf der Familie von der Marwitz und romantisch-idyllische Naturanlangen wie Hankels Ablage gegenüber, und gerade solche Orte strahlen vor dem Hintergrund von Musternieten und hässlichen Madonnen umso heller im Koordinatensystem der Wanderungen. Viele Orte, Naturräume, Denkmäler und Interieurs offenbaren nicht nur eine Fülle an Gewesenem, Enttäuschendem, sondern sie transportieren in ihrer Erzählung in den Wanderungen ein spezifisches Muster ihrer Herausbildung und Wirkung, welches sich aus einer historisch, seltener ästhetisch prädestinierten Erwartung speist und als persönlich Erlebtes von Fontane poetisch verarbeitet wird. Oftmals erscheinen diese Erwartungen als literarisches Konstrukt: Denn was der Wanderer in seinen Anfahrten zu offener Kutsche poetisch überhöht und idealisiert, kann oft nur in einer Enttäuschung des Blickes enden, die wiederum narrativen Mehrwert birgt. Doch in jeder Ödnis liegt für Fontane auch ein poetisches Moment, welches selbst im vielgescholtenen Schloss Kossenblatt kurz durchschimmert: » Spät am Abend mahlte sich unser Fuhrwerk wieder durch den Sand zurück. Es war kühl geworden, und der Sternenhimmel gab auch dieser Öde einen poetischen Schimmer. Ich sah hinauf und freute mich des Glanzes«. 85 Fontane weiß um die Beschaffenheit seiner Mark Brandenburg, und er weiß ebenso, daraus poetisches Kapital zu schlagen. Im Vorwort zur zweiten Auflage des Bandes Die Grafschaft Ruppin(1865) lesen wir deutlich: » Du wirst Klosterruinen begegnen, von deren Existenz höchstens die nächste Stadt eine leise Kenntnis hatte; du wirst inmitten alter Dorfkirchen, deren zerbröckelter Schindelturm nur auf Elend deutete, große
Heft
(2018) 105
Seite
54
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