Heft 
(2018) 105
Seite
64
Einzelbild herunterladen

64 Fontane Blätter 105 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte und des Viehs beraubt. Fontanes Sohn George, der ebenfalls im Feld steht, schildert diese Umstände ohne Umschweife in einem Brief vom 7. Novem­ber 1870 an seine Mutter:»Nur Expeditionen, die wir von Zeit zu Zeit ma­chen, wobei wir Dörfer abbrennen, für die Kavallerie requirieren und Ge­fangene machen, bringen etwas Abwechslung in das tägliche Einerlei.« 4 Im Oktober und November 1870 ist es der neuen Regierung in Paris und vom unbesetzten Tours aus gelungen, an der Loire eine Armee aufzustel­len, die dem deutschen Belagerungsring vor Paris bei einem erfolgreichen Vormarsch gefährlich werden kann. Das I. bayerische Korps unter General Ludwig von der Tann-Rathsamhausen, die 22. norddeutsche Division unter General Ludwig von Wittich sowie einige Kavallerieeinheiten werden des­halb in Richtung der 130 km von Paris entfernten Stadt Orléans an der Loire beordert. Sie sollen die ›Loire-Armee‹ im Kampf stellen und mög­lichst aufreiben. Aufgabe der wendigen und schnellen Kavallerieeinheiten ist das Durchkämmen der Gegenden, bevor sie von eigenen Fußsoldaten durchquert werden, und das Aufstöbern beziehungsweise Vernichten von Franctireurs. Die Reiter kundschaften so in kleineren Gruppen und häufig auf sich selbst gestellt in Feindesland. Ihre Gefahr, in Gefangenschaft zu geraten, ist besonders groß. Die Mitgefangenen Fontanes auf Oléron ent­stammen fast alle dem Zusammenhang der militärischen Ereignisse, die sich im Oktober und November 1870 zwischen Paris und der Loire sowie rund um den Pariser Belagerungsring ereignet haben, wie der Schriftstel­ler selbst in seinen Tagesnotizen feststellt:»Überhaupt fast lauter Cavalle­rie, die, vorausgeschickt, den Franctireurs in die Hände fallen. Viele sind die Opfer ihres Französisch-Sprechens. Die meisten hier sind aus den Kämpfen um Orléans.« 5 Quellen Im Wesentlichen können drei Quellengruppen benannt werden, um sich den von Fontane in Kriegsgefangen genannten Personen anzunähern. Die heute kaum mehr vorstellbare Bedeutung, die der Krieg von 1870/71 im Selbstverständnis, im kollektiven Gedächtnis und in der Geschichtskul­tur des Deutschen Kaiserreichs spielte, zeigt sich auch in der Flut an Kriegsliteratur. 6 Ungefähr 8000 Bücher erscheinen in den Jahrzehnten nach dem Krieg, vor allem aus Anlass des 25. Jahrestags der Kämpfe 1895. Für den hier vorgestellten Zusammenhang sind besonders Regimentsge­schichten von Interesse, in denen meist ehemalige Offiziere der jeweiligen Einheiten die Operationen von 1870/71 in häufig geradezu epischer Aus­führlichkeit beschreiben. Neben den Regimentsgeschichten sind auch die Erinnerungsbücher der Veteranen für den Zusammenhang dieses Beitrags