Heft 
(2018) 105
Seite
66
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66 Fontane Blätter 105 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Fontanes Mitgefangene auf der Île dOléron. ›Die Hauptfigur Max Rasu­mofsky‹ Bei seiner Ankunft auf Oléron hat Fontane die größten Gefahren über­standen. Der Vorwurf der Spionage gegen den offensichtlich harm- und in Domrémy schlimmstenfalls etwas gedankenlosen Schriftsteller ist fallen­gelassen worden. Eine mit dem Spionagevorwurf drohende Erschießung muss Fontane nicht mehr fürchten. Im Hintergrund haben sich zuvor ­deutsche und französische Freunde Fontanes und seine Frau Emilie für eine Freilassung eingesetzt und es sogar vermocht, den norddeutschen Kanzler und preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck für den Fall des Schriftstellers zu interessieren. Bismarck bewirkt in Briefen an die Regierung der Republik Hafterleichterungen und schließlich auch die nur Wochen später erfolgende Entlassung aus der Festungshaft. Noch vor der Ankunft auf Oléron wird dem Zivilisten Fontane von den französischen Behörden der Status eines»officier supérieur« 7 zugesprochen, was in etwa dem Rang eines Regimentskommandeurs entspricht. Fontane hat nun als hoher Offizier Anspruch auf eine Einzelzelle, verhältnismäßig freien Aus­gang in der Festung und einen ›Burschen‹ als Diener. Dieser Bursche, der Fontane einen Tag nach seiner Ankunft auf der Insel zugeteilt wird, heißt in Kriegsgefangen Max Rasumofsky. Jan Roehnert gibt 2011 in seiner Studie zu Kriegsgefangen dieser Figur des Rasumofsky mit Recht eine zentrale Rolle in der erzählerischen Absicht Fontanes für den die Zeit auf Oléron betreffenden Abschnitt:»Die Makro­struktur von Kriegsgefangen läuft[...] auf die Summe vieler anekdotischer ›Mikroepen‹ hinaus, die miteinander durch wenige, im Lauf der vier gro­ßen Kapitel auch variierende Leitmotive[etwa im ›Oléron‹-Kapitel die Figur seines Adjutanten Rasumofsky[...] verbunden sind. Fortlaufende, sich ak­kumulierende Anekdotisierung ist damit das narrative Grundprinzip der autobiographischen Erzählung Kriegsgefangen.« 8 In der Tat strukturiert Fontane die Schilderung der Mitgefangenen nach einem hierarchischen Prinzip. Rasumofsky steht ihm auf Oléron am nächsten und ist im narrati­ven Grundrauschen des Textes ständig in seiner Funktion als Diener prä­sent, während die anderen geschilderten Mitgefangenen nur zeitweise in den Gesichtskreis Fontanes treten, wenn dieser, ganz der Tradi­tion höhe­rer Militärdienstgrade entsprechend, Besuch empfängt und sich berichten lässt. Rasumofsky ist so auch die erste Figur, die Fontane dem Leser im Oléron-Abschnitt von Kriegsgefangen mit einem eigenen Kapitel näher vorstellt. Es folgen acht weitere Personen, die Fontane dem Leser nachein­ander, als Paare strukturiert und damit erkennbar als literarischen Stoff angeordnet, präsentiert. Ebenfalls kein Zufall, sondern literarisch, aber auch geschichtspolitisch mit vollem Bewusstsein konzipiert, dürfte sein, dass Fontane bei den vier Paaren drei Paare schildert, die sich jeweils aus