76 Fontane Blätter 105 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte gerichteten Feuers glücklich zu entkommen, indeß Genzel in Gefangenschaft gerieth. Er wurde auf die Insel Oléron gebracht und erhielt nach beendetem Kriege bei seiner Rückkehr zum Regiment das Eiserne Kreuz, eine bedeutende[...] Geldprämie, sowie eine goldne Uhr, welche der Hoflieferant Hoff für eine heldenmüthige That ausgesetzt hatte.« 69 Die von Fontane mit kaum versteckter Hochachtung und Stilisierung erzählte Szene vom Kampf Genzels mit einem Turko, einem afrikanischen Kolonialsoldaten, wird durch die Regimentsgeschichte gedeckt, die ausdrücklich davon berichtet, dass sich der Angriff vom 26. September gegen Turkos gerichtet hat. Dass Genzel seine Kampfkraft ausgerechnet an einem Turko, dessen Kampfesmut Fontane ausdrücklich erwähnt, beweisen kann, passt gut in die allgemeine Schilderung dieser Soldaten in der deutschen Öffentlichkeit und Nachkriegsliteratur. Die bewundernden Darstellungen über den ›wilden‹ Mut der schwarzafrikanischen Männer, ihre Kampfkraft und ihre angebliche Grausamkeit sind immer von einer Mischung aus exotistischer Faszination und banalem Rassismus grundiert. 70 Insofern steht Fontanes literarisch überformte Wiedergabe des Berichts Genzels ganz in der Tradition der zeitgenössischen Wahrnehmung der Turkos. Im Jahr 1894 veröffentlicht Genzel ein kleines, bis 1918 in mehreren Auflagen erschienenes Büchlein mit Schilderungen seiner Erlebnisse im Krieg, das mit Rekurs auf Fontane ebenfalls Kriegsgefangen heißt. Die bei Fontane und in der Regimentsgeschichte geschilderte Gefangennahme findet sich hier in sehr ähnlicher Form wieder. Ein Detail weicht allerdings ab: Anders als der Zivilist Fontane hat der Soldat Genzel kein Problem, vom Tod eines französischen Dragoners, dessen Kopf von seiner Ulanenlanze durchbohrt wird, zu berichten und so seine Erzählung doch ›rot zu färben‹. 71 Genzel, der sich zeitweise eine Zelle mit Louis Kerber geteilt hat, berichtet auch, wenngleich nur kurz, von seiner Begegnung mit Fontane: »Bei dieser Gelegenheit wurde mir auch die Ehre zuteil, unserm berühmten Schriftsteller Theodor Fontane vorgestellt zu werden, der sich seit einiger Zeit ebenfalls als Kriegsgefangener hier befand und mich mit einigen Einladungen zum Tee beehrte.« 72 Genzel berichtet in deutlichen Worten, wie im Winter, nach Fontanes Abreise, Seuchenerkrankungen in der mit mittlerweile über 1000 Gefangenen belegten Zitadelle ausbrechen und täglich Verstorbene bestattet werden müssen – Fontane hatte das Glück, noch rechtzeitig entlassen zu werden und so noch der berühmte Autor seiner späteren Gesellschaftsromane werden zu können, bevor ihn vielleicht Typhus, Ruhr oder Cholera getötet hätten. 73 Am 4. März 1871 werden die Gefangenen von Oléron entlassen, und völlig»abgerissen« kommt Genzel am 16. März wieder in Züllichau an. 74 Genzels körperliche und sittliche Ästhetisierung durch Fontane wird durch eine weitere Quelle gedeckt, sofern sich diese nicht nur dem vorgegebenen Bild aus Respekt vor dem bewunderten Dichter beugt. Es liegt
Heft
(2018) 105
Seite
76
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