Heft 
(2018) 105
Seite
90
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90 Fontane Blätter 105 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte jene einzelne Rückseite, die Seiffert auf dem letzten Blatt des Entwurfs Rr oder gefährdet Glück erkannt und 1972 veröffentlicht hat. 16 Diese Seite ist der einzige Beleg für Fontanes Bericht über seine Inspiration durch Emma Lessing. Es ist nicht offensichtlich, dass sie älter ist als die sieben Ent­wurfs-/Rückseiten, aber im Folgenden wird nachgewiesen, dass sie Teil eines nicht erhaltenen Versuchs ist, die Ardenne-Geschichte zu fiktionali­sieren. Die ›alten‹ sieben Entwurfsseiten sind in allen besseren Werk-Aus­gaben transkribiert; die ›neue‹ älteste Entwurfseite ist als Kopie im An­hang der GBA abgedruckt, aber bisher nicht analysiert und nur mit»vor 1890« datiert worden. Der im Folgenden dargelegte Ansatz ist insofern neu, als Fontanes Ar­beitshandschriften bisher im Zusammenhang mit Editionen konsultiert wurden, 17 oder auch um Hinweise für Interpretationen zu finden. Stichpro­ben reichen jedoch nicht aus, um die Verflechtung der verästelten Hinweis­ketten aufzudröseln. Der Fokus auf die Handschrift als eigenständigen Text erfordert eine völlig andere Perspektive als die des Editors, des Her­meneuten oder Stilanalysten. Anstatt das Interesse teleologisch 18 auf den gedruckten Text zu richten, 19 wird hier der frühestmögliche Text, nämlich der noch nicht korrigierte Urtext auf jeder einzelnen Seite analytisch un­tersucht. Das Ziel ist nicht eine Interpretation des Romans, sondern die Beschreibung seiner Entwicklung. Diese gegensätzlichen Blickrichtungen ergeben sich aus Fontanes Kreativitätsformel»Psychographie und Correk­tur«: 20 Jene steht selten wortwörtlich auf Papier und wenn doch, dann nur als Bericht, weil sie dem Schreiben vorausgeht und es lenkt; daher muss sie detektivisch ermittelt werden. Die ›Correktur‹ besteht aus Verbesserungen verschiedenster Art, auch dem»Hineingeheimnissen« 21 von bedeutungs­schweren Hinweisen und dem Updaten älterer Passagen. Um eine Chronologie der Arbeitshandschrift zu erstellen, müssen ver­lässliche Merkmale erkannt werden. Weil das Schriftbild nur streckenwei­se gleich bleibt und weil Fontane wichtige Details ab und zu ändert, teilt sich die Handschrift eigentlich von selbst auf. Fontane hat seine Figuren mit viel Bedacht benannt und manchmal während der Arbeit Namen geändert. Damit bietet die Namengebung Merkmale, um die gesamte Handschrift 22 zu chronologisieren. In einer Fußnote schlägt Herrmann(1912) vor, die Handschrift nach der»Namen­gebung« in»drei Arbeitsetappen« aufzuteilen sagt aber nicht, welche Na­men sie meint. 23 Da die Heldin nur zwei Namen bekommen hat, und weil die Entwürfe nur sie und den Helden benennen, muss Herrmann ihn gemeint haben dabei übersehend, dass er zwar drei Nachnamen, aber vier Vorna­men bekommt. Diese teilen die Handschrift räumlich und, weil es eine einzige Fassung gibt, zeitlich auf. Trotz der vielen Einfügungen und Strei­chungen haben sie sich als tauglich erwiesen, vier Arbeitsphasen zu unter­scheiden und mehr oder weniger genau zu datieren: 24