Heft 
(2018) 105
Seite
124
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124 Fontane Blätter 105 Rezensionen und Annotationen überschauen und festzustellen, ob die Erweckungsmomente die Entwick­lung tragen oder ob sie Katalysator einer bereits bestehenden Lebenslinie sind. Röders Auffassung, dass Melanies Genfer Herkunft mit Calvins Dog­ma der Prädestination die»subjektiv begründete Gewissheit einer eigenen Moral« ermöglicht, ist nicht überzeugend. Die Lehre der Prädestination führt zwar dazu, dass die Gläubigen ihre Heilsgewissheit an ihrem von Gott gestifteten Wohlstand ablesen hier ist an Max Webers These über den Zusammenhang von protestantischer Ethik und Kapitalismus zu den­ken, die Autonomie Gottes ist im Calvinismus jedoch unantastbar. Wem das ewige Heil zuteil wird, ist vor der Schöpfung(von Ewigkeit her) von Gott bestimmt worden. Das ist die harte Lehre Calvins und vielleicht mehr noch: seiner dogmatischen Nachfolger. Fontane und seine Interpreten le­gen»Prädestination« als»Schicksal«,»Vorherbestimmung« von Begeben­heiten im Leben, aus. Damit wird man der Prädestination nicht gerecht. Grete Röder bringt viele unterschwellige Bedeutungselemente in LAdultera an die Oberfläche. Mit bewundernswerter Sorgfalt hat sie das Geflecht von potentiellen Bedeutungsträgern offengelegt. Die Gefahr bei diesem Verfahren aber ist die Übertreibung. So verbindet Röder den Na­men Ruben, den Melanie ihrem Geliebten gibt, mit dem biblischen Ruben, der mit Bilha, dem»Kebsweib« seines Vaters geschlafen hat(1 Mose, 35, Vers 22) und dafür von Jakob/Israel bestraft wird(1 Mose, 49, Vers 4). Röder akzentuiert die Tatsache, dass Ruben seinen Bruder Joseph vor der Ermor­dung rettet. Hier eine Parallele von Rubehn und Ruben zu sehen, ist riskant. Der Fontanesche Rubehn/Ruben wird ja nicht bestraft, obwohl er der initi­ierende Verführer im Palmenhaus ist. Viel interessanter ist die Parallele mit dem ungenannten Ehebrecher, zumindest Verführer, aus Jesus Geschich­te. Ebensowenig wie dieser zur Rechenschaft gezogen wird, muss Ebenezer Rubehn sich gegenüber Ezechiel Van der Straaten für seine grobe Verlet­zung der Gastfreundschaft entschuldigen. Mit der Tatsache, dass der Frau die Schuld am Ehebruch aufgebürdet wird, rückt der Fall Melanie Van der Straaten als Beispiel sozialer Ungerechtigkeit in den Mittelpunkt der Be­trachtung. Melanie ist die Trägerin des Leides, Rubehn ist ein blasser Feig­ling, der für Melanie offenbar Qualitäten besitzt, die der Leser des Romans nicht wahrnimmt. Da Grete Röder eine reichgefächerte, nuancierte Sprache hantiert und auf profunden Kenntnissen der Fontane-Forschung beruht, ist die Lektüre ihres Buches spannend, auch wenn man die Gefahr der überstrapazierten Betonung des biblischen Grundbestandes bei der Deutung von Fontanes gesamtem Œuvre signalisiert. Dem Ansatz Röders Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ist keine ge­ringe Aufgabe. Das darf aber einer kritischen Durchleuchtung ihres ­Buches nicht im Wege stehen. Zum einen fehlt an entscheidenden Stellen eine Art Mittelposition, die von möglichen Deutungen statt von absoluten