Heft 
(2018) 105
Seite
125
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Röder: Protestantischer Realismus bei Fontane  Ester 125 ­Erklärungen ausgeht. Zum anderen ist die Kritik an bestehenden Analysen der beiden Romane nicht immer genügend balanciert. So hätte Ingrid ­Mittenwei mit ihrem Buch Die Sprache als Thema viel mehr Aufmerksam­keit verdient. Sichtbar wird diese instabile Balance auch in Röders Analyse von Quitt. Vorab sei ausdrücklich bemerkt, dass der zweite Hauptteil von Röders Buch, der sich dem Roman Quitt zuwendet, erstaunliche Detailkenntnisse enthält und einen wahrhaft religiös engagierten Geist offenbart. Um zwei Bespiele zu nennen: die Symbolik des Kreuzes in seinen zahlreichen Vari­anten hat Röder gut dargestellt. Auch die Studierstube von Pfarrer Sieben­haar bekommt aufgrund von Röders Beschreibung neues Relief. Die Ver­fasserin weiss sogar Informationen über Siebenhaars Theologiestudium mit Hilfe seiner Lebensdaten auszugraben. Weiterhin werden Theologie, Religion und Kirche bei Röder Teil einer historischen Entwicklung, die für die politische Geschichte Deutschlands sehr relevant gewesen ist. Im Zusammenhang mit Quitt liegt die Crux in der Frage nach der Sub­stanz von Lehnert Menz Schuldgefühlen und dem Sinn seines Sterbens in der Wüste Amerikas. Wie verhält sich Lehnerts innere Entwicklung zum massiven Angebot von religiösen Reue- und Vergebungsvorstellungen, die die beiden, stark voneinander abweichenden Geistlichen Siebenhaar und Obadja Hornborstel ihm präsentieren? Röder stellt in Quitt eine»durchge­hend alt- und neutestamentliche Kontextualisierung der Lehnert Menz-Fi­gur« fest.(S. 211) Bedeutet aber die Charakteristik Lehnerts als»Kain«, dass das mit Kain und Abel verbundene religiöse Umfeld verbindlich zur Sprache kommt? Lehnerts innerer Streit kreist um Schuld, Reue und Ver­gebung, beziehungsweise Versöhnung. Ist Lehnerts Tod als»Sühnetod« (S. 211) auszulegen? Bei der entscheidenden Frage nach dem Sinn von Lehnerts Tod ist dar­auf hinzuweisen, dass es sich keineswegs um eine Form der Aufopferung handelt, wie Röder annimmt. Die Suche nach Hornborstels Sohn Toby stellt sich als unnötig heraus. Lehnert stirbt durch einen Unfall. Er gerät ins Rutschen, wobei die Hüfte aus dem Gelenk springt und Lehnert dass Aufstehen unmöglich macht. Auf dem Zettel, den er mit dem Tod vor Au­gen beschrieben hat, steht das Vaterunser in verzweifelter Kürze. Diese Zei­len wären der Ausdruck von Glauben und Hoffnung gewesen, wenn nicht das letzte Wort Quitt das Glaubensbekenntnis durch ein hartes Schicksals­gesetz ersetzt hätte. Dieses letzte Wort sieht den eigenen Tod, der ver­gleichbar ist mit dem Sterben von Förster Opitz, als Rechnung, als Abzah­lung der Schuld. Abzahlung ist von Vergebung der Schuld völlig verschieden. Vor dem Hintergrund dieses letzten Wortes muss der mühselige Lebens­weg Lehnerts gesehen werden. Röders Meinung lautet, dass»die Verge­bung, die Lehnert zweifellos erhält, keine geschichtliche ­Realität[bekommt], weil er sterben muss. Sie bleibt jenseitig.«(S. 319) Diese Interpretation