150 Fontane Blätter 105 In memoriam Helmuth Nürnberger und Cécile; Bd. 4: Stine; Irrungen, Wirrungen; Frau Jenny Treibel; Bd. 5: Die Poggenpuhls; Effi Briest; Bd. 6: Der Stechlin. Ein kleiner Sprung: Jurek Becker, ein Autor Ost- und Westdeutschlands, der vielleicht doch noch nicht ganz vergessen ist, schrieb von seinen vielen Reisen an seine engsten Freunde Postkarten, die den Daheimgebliebenen die Welt, in diesem Falle den Kapitalismus erklären sollten. Im Unterschied zum Sozialismus, so schrieb er in die DDR, dürfe im Kapitalismus alles gedruckt werden, mit einer einzigen Ausnahme: Geld. Ein Verleger im Kapitalismus drucke also das, was für ihn dem Geld am nächsten komme: Bücher, von denen der Verleger hoffe, dass sie sich in Geld umwandeln lassen. Zurück zu Fontane. Der Grund für das Erscheinen der Ausgabe ist, so muss vermutet werden, ein profaner. 1928 war die Schutzfrist für Fontanes Werke abgelaufen, nun konnte ein Verlag mit Fontane Geld verdienen, ohne den Nachkommen Tantiemen zahlen zu müssen. Die sechs Bände sind liebevoll gestaltet und tragen die Zeichen ihrer Zeit: rotes Leinen, Goldprägung auf Deckel und Rücken, ein gelblicher Kopfschnitt, der wohl an den in besseren Zeiten verwendeten Goldschnitt erinnern soll. Das dunkelgrün geprägte Rückenschild versucht, zusammen mit den waagerechten Mustern, die an erhabene Buchbünde erinnern, der Ausgabe ein klassisches Gepräge zu geben. Mit wilhelminischer Prachtentfaltung hat diese Ausgabe nichts mehr zu tun. Die Gestaltung zitiert klassische Ledereinbände und stellt sich damit in die Tradition europäischer Buchkunst, aber besonders altpreußisch im Sinne von»mehr sein als scheinen« ist sie nicht. Die typographische Gestaltung ist inzwischen – 1929 – eher unmodern: es wurde eine Frakturschrift verwendet, während sich eine Vielzahl von Publikationen jener Zeit längst von der Fraktur verabschiedet hatte. Diese erste Ausgabe der Ausgewählten Werke hat eine Einleitung bekommen, deren letzter Satz lautet:»Möge der Erscheinungstag dieser Ausgabe den Beginn seiner praktischen Volkstümlichkeit bedeuten!« Mit Ausrufezeichen. Geschrieben in München, im September 1928. Der Verfasser, der hier so nachdrücklich für Fontane wirbt, sollte gut ein Jahr später den Nobelpreis für Literatur erhalten, es ist Thomas Mann. Die Einleitung umfaßt die Seiten 5–14, und ich gestehe, es geht eine enorme Versuchung von diesen knapp 10 Seiten aus, sie Ihnen hier vorzutragen. Keine Angst. Nur den ersten Satz:»Er mußte alt werden, um ganz er selbst zu werden.« Noch eine kleine Zugabe:»Es sieht aus, als habe er es eilig gehabt, alt zu werden, um recht lange alt zu sein.« Thomas Mann spricht vom»unsterblichen Fontane« und stellt ihn als einen produktiven, nervösen, das Älterwerden reflektierenden Künstler, als Artisten vor. Er vergleicht ihn en passant mit Richard Wagner, betont den Briefschreiber Fontane, der als knapp Sechzigjähriger zitiert wird:»Das Leben liegt hinter einem, und die meisten Achtundfünfziger sind noch ganz anders ramponiert.« Nein, kein Zahlendreher: Achtundfünfziger, nicht Fünfundachtziger. Namen, die genannt
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(2018) 105
Seite
150
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