Heft 
(2018) 105
Seite
151
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Vom Glück der Ideologieresistenz  Schaefer 151 werden: Nietzsche, Paul Heyse, Bismarck. Namen, die nicht genannt wer­den: die preußischen Herrscher, unter denen Fontane gelebt hat. Nicht Be­zug genommen wird auf die erst zehn Jahre zurückliegende Schreckenser­fahrung des Ersten Weltkrieges. Thomas Mann preist Fontanes»Elastizität des Denkens und Empfin­dens unter den physiologischen Umständen hohen Alters« und kommt schließlich zu einem Satz, den Sie wohl alle kennen:»Der Dichter ist kon­servativ als Schützer des Mythos; Psychologie aber ist das schärfste Mi­nierwerkzeug demokratischer Aufklärung.« Und ein letzter Passus, der längst eine eigene Wirkungsmacht entfaltet hat und an dessen Beginn die­ser besondere Verweis Thomas Manns auf einen Brief des alten Fontane an James Morris steht:»Alles Interesse ruht beim vierten Stand. Der Bour­geois ist furchtbar, und Adel und Klerus sind altbacken... Das, was die Arbeiter denken, sprechen, schreiben, hat das Denken, Sprechen und Sch­reiben der altregierenden Klassen tatsächlich überholt. Alles ist viel ech­ter, wahrer, lebensvoller...«. Was geschieht hier? Thomas Mann betätigt sich gewissermaßen als »Übersetzer« von Kunst und Haltung Fontanes, indem er ihn nicht untrenn­bar mit Preußen oder dem Kaiserreich, also vergangenen Zeiten, verknüpft, sondern ihn seinen, also Manns Zeitgenossen und damit den Bewohnern der Weimarer Republik an die Seite stellt. Wer etwa 5 Jahre später, im Jahre 1934, Fontanes Ausgewählte Werke, erschienen wieder bei Reclam, erwirbt, stellt zunächst äußerlich keine Än­derung fest: rotes Leinen, Rücken und Deckel unverändert, ebenso die Ty­pographie. Auch die Zusammenstellung der Texte ist dieselbe wie 1929. Noch immer steckt Grete Minde in einer Art terroristischem Akt eine ganze Stadt in Brand. Ein preußischer Offizier wird erst zum Verführer einer jun­gen, von Blatternarben entstellten Frau und dann zum Opfer seines eigenen Ehrenkodex´. Melanie van der Straaten geb. Caparoux trennt sich noch im­mer von Mann und Kindern! und beginnt ein neues Leben mit einem anderen Mann. Lehnert Menz erschießt immer noch einen Vertreter der preußischen Ordnung und geht ins Exil; Cécile fährt immer noch im Zug Richtung Harz an Potsdam vorbei; die Witwe Pittelkow putzt noch immer hochgeschürzt ihre Fenster in der Berliner Invalidenstraße und kann das Unglück ihrer Schwester Stine nicht verhindern; Botho und Lene trennen sich noch immer und äußerlich stirbt niemand; Corinna Schmidt glaubt im­mer noch, den Richtigen gewählt zu haben; bei den Poggenpuhls hängt im­mer noch das Bild schief an der Wand und Leo hat Hunger; Effi schaukelt und ruft nach Rollo; der alte Dubslav verabschiedet sich vom Leben. War überhaupt neu gedruckt worden? Selbst das Papier scheint das der früheren Ausgabe zu sein. Auf den Seiten 5–14 findet sich wieder eine Ein­leitung. Der erste Satz heißt nun:»Immer hat ein besonderer Reiz der