Vom Glück der Ideologieresistenz Schaefer 151 werden: Nietzsche, Paul Heyse, Bismarck. Namen, die nicht genannt werden: die preußischen Herrscher, unter denen Fontane gelebt hat. Nicht Bezug genommen wird auf die erst zehn Jahre zurückliegende Schreckenserfahrung des Ersten Weltkrieges. Thomas Mann preist Fontanes»Elastizität des Denkens und Empfindens unter den physiologischen Umständen hohen Alters« und kommt schließlich zu einem Satz, den Sie wohl alle kennen:»Der Dichter ist konservativ als Schützer des Mythos; Psychologie aber ist das schärfste Minierwerkzeug demokratischer Aufklärung.« Und ein letzter Passus, der längst eine eigene Wirkungsmacht entfaltet hat und an dessen Beginn dieser besondere Verweis Thomas Manns auf einen Brief des alten Fontane an James Morris steht:»Alles Interesse ruht beim vierten Stand. Der Bourgeois ist furchtbar, und Adel und Klerus sind altbacken... Das, was die Arbeiter denken, sprechen, schreiben, hat das Denken, Sprechen und Schreiben der altregierenden Klassen tatsächlich überholt. Alles ist viel echter, wahrer, lebensvoller...«. Was geschieht hier? Thomas Mann betätigt sich gewissermaßen als »Übersetzer« von Kunst und Haltung Fontanes, indem er ihn nicht untrennbar mit Preußen oder dem Kaiserreich, also vergangenen Zeiten, verknüpft, sondern ihn seinen, also Manns Zeitgenossen und damit den Bewohnern der Weimarer Republik an die Seite stellt. Wer etwa 5 Jahre später, im Jahre 1934, Fontanes Ausgewählte Werke, erschienen wieder bei Reclam, erwirbt, stellt zunächst äußerlich keine Änderung fest: rotes Leinen, Rücken und Deckel unverändert, ebenso die Typographie. Auch die Zusammenstellung der Texte ist dieselbe wie 1929. Noch immer steckt Grete Minde in einer Art terroristischem Akt eine ganze Stadt in Brand. Ein preußischer Offizier wird erst zum Verführer einer jungen, von Blatternarben entstellten Frau und dann zum Opfer seines eigenen Ehrenkodex´. Melanie van der Straaten geb. Caparoux trennt sich noch immer von Mann – und Kindern! – und beginnt ein neues Leben mit einem anderen Mann. Lehnert Menz erschießt immer noch einen Vertreter der preußischen Ordnung und geht ins Exil; Cécile fährt immer noch im Zug Richtung Harz an Potsdam vorbei; die Witwe Pittelkow putzt noch immer hochgeschürzt ihre Fenster in der Berliner Invalidenstraße und kann das Unglück ihrer Schwester Stine nicht verhindern; Botho und Lene trennen sich noch immer und äußerlich stirbt niemand; Corinna Schmidt glaubt immer noch, den Richtigen gewählt zu haben; bei den Poggenpuhls hängt immer noch das Bild schief an der Wand und Leo hat Hunger; Effi schaukelt und ruft nach Rollo; der alte Dubslav verabschiedet sich vom Leben. War überhaupt neu gedruckt worden? Selbst das Papier scheint das der früheren Ausgabe zu sein. Auf den Seiten 5–14 findet sich wieder eine Einleitung. Der erste Satz heißt nun:»Immer hat ein besonderer Reiz der
Heft
(2018) 105
Seite
151
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