Heft 
(2018) 105
Seite
152
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152 Fontane Blätter 105 In memoriam Helmuth Nürnberger ­Erwählung und Auszeichnung über jenen geistigen Menschen gelegen, die eine typische Altersform verkörperten: frühverstorbene Jünglinge, spätge­reifte Greise.« Das Thema des Alterns wird auch hier angeschlagen und mit einer Art Elitebewusstsein verbunden. Es folgt eine biographische Über­sicht. Die familiäre Herkunft spielt eine Rolle, das Werk Fontanes unter Ein­schluß der Wanderungen durch die Mark Brandenburg, von denen die Aus­gewählten Werke nichts enthalten, wird gewürdigt, auch Fontanes journalistische Arbeiten. Etwas später heißt es: »Der meisterhafte Schilderer des preußischen Adels, der Kritiker der Bourgeoisie schaut in eine werdende Zeit, wo über Stand und Klasse der Mensch triumphieren wird.[...] Es ist sicher, dass er den klaren Begriff des Volkes und seiner lebendigen Gemeinschaft nicht gehabt hat. Er sah die empordrängenden Massen der Arbeiterschaft; er wußte, daß es bei ihnen um ein Neues ging, und erkannte doch zugleich ganz klar, daß die Sozial­demokratie nur eine abgewandelte Form der Bourgeoisie darstellte, daß sie ein Evangelium der Zukunft nicht zu bringen imstande war. Und doch ahnte er neue Ideale der Gemeinschaft.[...] Er hält dem sterbenden aristo­kratischen Zeitalter seinen Spiegel vor, er entlarvt mit ironischer Skepsis die neue Bourgeoisie, er läßt[...] die Bereitschaft zum Dienen in der Ge­meinschaft als Träger eines neuen Zeitalters ahnen dann umhüllt sich sein Blick.« Nein, das stammt natürlich nicht von Thomas Mann. Der hatte Deutsch­land etwa ein Jahr vorher verlassen. Bücher der Gebrüder Mann waren am 10. Mai 1933 verbrannt worden. Das Schwungrad der Geschichte, dessen Sausen Fontane von seiner Wohnung in der Potsdamer Straße 134c zu hö­ren meinte, hatte sich gedreht. Es war nötig geworden, einen neuen Autor für die Einleitung der Ausgewählten Werke Fontanes bei Reclam zu finden, und gefunden wurde Walther Linden. Es ist ganz deutlich, dass dieser den Text seines Vorgängers kannte, es gibt mehrere parallele Stellen, ohne dass er seinen Vorgänger namentlich zitieren würde. Und doch: wie anders! Welch neuer Stempel für Fontane! Konnte diese neue Sicht den Blick des Lesers prägen? Glaubten die Leser dieser Interpretation? Fontane als Vor­läufer eines völkisch geprägten, klassenlosen Gemeinschaftsideals? Wer war Walther Linden? Über ihn, geboren drei Jahre vor Fontanes Tod, erfährt man im Lexikon Drittes Reich: Neben einer Reihe von chauvi­nistischen Interpretationen zur Geschichte der deutschen Literatur, beson­ders zur Klassik( Goethe und die deutsche Gegenwart, 1932), versuchte Lin­den im nationalsozialistischen Sinne theoriebildend zu wirken durch eine programmatische Arbeit über die Aufgaben einer nationalen Literaturwis­senschaft(1933), die zu den Grundlagenwerken der völkischen Literaturge­schichtsschreibung gezählt wurde. An anderer Stelle findet man ihn als Herausgeber einzelner Bände von Eichendorff und Nietzsche, auch schrieb