Heft 
(2018) 105
Seite
153
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Vom Glück der Ideologieresistenz  Schaefer 153 er über Conrad Ferdinand Meyer. In einem Aufsatz aus dem Jahre 1932 ( Zeitschrift für Deutschkunde 1932, S. 18–32) heißt es: Das Judentum ver­körpere die»die Rasse zerstörenden Kräfte«. Zwischen dem Erscheinen der zweiten und dritten Ausgabe, die etwa aus dem Jahr 1949 stammt, liegen 15 Jahre, darin eingeschlossen ein tau­sendjähriges Reich. Der aufmerksame Leser, der einen Sinn für unter­schiedliche Papiersorten hat, wird sich beim Blättern vielleicht wundern: die ersten 14 Seiten sind auf anderem, etwas weniger glattem Papier ge­druckt als der Rest des ersten Bandes; vielleicht sind hier tatsächlich die Seiten bis einschließlich S. 14, also Titelei und Einleitung, den möglicher­weise noch liegen gebliebenen Seiten der vorherigen Ausgabe einfach nur vorgebunden worden. Der erste Satz der Einleitung: »Die Briefstelle, an der Friedrich Engels im April 1888 auf Balzac zu sprechen kommt, welchen er für einen weit größeren Meister des Realismus hält als alle Zolas der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, bringt die entscheidende Formulierung, dass der Realismus, den er meine, ›sogar trotz den Ansichten des Autors in Erscheinung treten‹ könne.« Man könnte auch sagen, das Buch ist manchmal klüger als sein Autor. Wer steigt hier so furios mit einem Zitat von Friedrich Engels ein? Er hat, so verrät die Rückseite des Titelblattes, den Text nicht eigens für diese Ausga­be der Ausgewählten Werke Fontanes geschrieben, sondern es wurde»im Einverständnis mit dem Verfasser dem im Henschel-Verlag erschienenen Buche ›Literatur‹ von Paul Rilla entnommen.« Es wird von der»moralischen Überlegenheit der plebejischen Figuren« gesprochen, was ja auch nicht ganz falsch ist. Paul Rilla, Jahrgang 1896, beinahe gleich alt wie Walther Linden, sein Vorgänger als Verfasser der Einleitung zu Fontanes Ausgewählten Werken, war Journalist, nach 1918 Feuilletonchef der Breslauer Neuesten Nachrich­ten, nach 1933 zeitweise von der Reichsschrifttumskammer mit Schreibver­bot belegt. Buchpublikationen und zahlreiche Aufsätze zur deutschen Lite­ratur stammen ganz überwiegend aus der Zeit nach 1945. Paul Rilla zitiert ausführlich aus der Einleitung von Thomas Mann, die ja nur ca. 20 Jahre vorher geschrieben wurde, er zitiert mit Zustimmung, setzt aber den Ak­zent beinahe möchte man sagen: natürlich anders. Das kann er schon deswegen, weil er aus Fontanebriefen zitieren kann, die erst 1943 erschie­nen waren, die Thomas Mann also noch gar nicht kennen konnte. So z.B. aus einem Brief vom 14. Mai 1898: »Dynastie, Regierung, Adel, Armee, Gelehrtentum, alle sind ganz auf­richtig überzeugt davon, daß speziell wir Deutsche eine hohe Kultur reprä­sentieren; ich bestreite das; Heer und Polizei bedeuten freilich auch eine Kultur, aber doch einen niedrigeren Grad, und ein Volks- und Staatsleben, das durch diese zwei Mächte bestimmt wird, ist weitab von einer wirkli­chen Hochstufe.«