Heft 
(2018) 106
Seite
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Hasenfußdiplomatie? Möller 11 Die Gründe, welche momentan die Ausfüllung dieser und jener Lücke im Personal unmöglich machen, liegen in ganz anderen, durch keine Theater­Verwaltung zu beseitigenden Umständen, wofür der schlagende Beweis schon dadurch geführt sein dürfte, daß gegenwärtig kein deutsches Thea­ter ein den Kunstansprüchen gerechtwerdendes Ensemble besitzt. Jene Umstände specifizieren sich dahin, daß unsere Zeit an wirklichen Talenten für szenische Darstellung überhaupt arm ist, und daß die irgend vorhande­nen, begabteren Persönlichkeiten infolge der neuerdings eingeführten Theaterfreiheit von den so zahlreich entstandenen kleineren Bühnen in ei­ner Weise absorbiert werden, die ihre künstlerische Entwicklung gerade­zu untergräbt. Jeder, welcher unter guter Leitung und vorsichtig beschäf­tigt, in einem zweiten oder dritten Fache ein Gewinn für das Ensemble eines ersten Theaters sein könnte, entzieht sich nur allzu gern einer ihm unbequemen Schulung, indem er an eines jener kleinen Theater geht, und dort für ein erstes Fach engagiert wird, welches er auszufüllen außerstan­de ist. Die natürliche Folge hiervon ist, daß es schon jetzt, wo die Theater­freiheit erst zwei Jahre besteht, fast eine Unmöglichkeit geworden, zweite und dritte Fächer ausreichend zu besetzen; und da selbst Geldopfer nicht imstande sind, den in jeder Weise aufgestachelten und genährten Ehrgeiz der ohne Berechtigung in erste Fächer gestellten Individuen in die richtige Bahn zu leiten, so werden Sie mir zugestehen müssen, daß der Geldpunkt hierbei überhaupt nicht in Betracht kommt. Schließlich möchte ich nicht annehmen, daß Ihre Bemerkung etwa auf den immer wieder auftauchenden Gemeinplatz hinzielte, als ob ich das Schauspiel auf Kosten der Oper stiefmütterlich behandelte. Es beruht die­ser Gemeinplatz auf einer einfachen Verwechselung von Ursache und Wir­kung: für die Oper sind eben gegenwärtig bedeutendere Talente vorhan­den, als für das Schauspiel, und die Erfolge der Wirksamkeit dieser Talente treten deshalb auch eklatanter zu Tage. Sehr wünschenswert muß es mir erscheinen, daß die Kritik den Schwie­rigkeiten, mit denen die Verwaltung zu kämpfen hat und die im Obigen nur nach einer speziellen Richtung hin angedeutet worden sind, wenigstens insoweit Rechnung trüge, daß Sie mit Andeutungen, wie Ihr Referat sie ausspricht, vorsichtiger zu Werke ginge. Von Ihrer ehrenwerten Gewinnung, sowie davon überzeugt, daß Sie bei Ihren Äußerungen eine übelwollende Absicht gewiß nicht gehegt haben, hoffe ich übrigens, daß Sie diese unumwundenen Auslassungen nicht miß­deuten, sondern in dem Sinne aufnehmen werden, in welchen sie gegeben werden. Mit Hochachtung Ihr ergebener v. Hülsen