Heft 
(2018) 106
Seite
20
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20 Fontane Blätter 106 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes ­Hülsen und seine Leute publizierte, hatte Fontane zwar lobende Worte für den Autor und viele Details, fand das Ganze jedoch, wie er seiner Frau Emilie in einem Brief mitteilte, unsinnig und überflüssig, ja ungerecht. 12 Auch in seinem Nachruf, den Fontane dem am 30. September 1886 ver­storbenen Generalintendanten widmete, ist nichts von Ressentiments zu spüren, wofür diese Gattung ohnehin nicht der richtige Ort ist. Allerdings schrieb Fontane diesen Text in eigenem Auftrag. Die Zeitung hatte bereits am Vortag einen ausführlichen Essay publiziert. Fontanes Resümee über Hülsen klingt geradezu pastoral:»Er hat seines Amtes in seltener Treue gewaltet, und dieser Treue hat die Liebe nicht gefehlt.« 13 Auch auf die»Ver­waltung« Hülsens kam Fontane hier noch einmal zu sprechen, an der es eigentlich nichts auszusetzen gebe. Er sei bis auf wenige Einschränkungen vielseitig und offen gewesen.»Hinfällig[] ist der Vorwurf, daß die deut­sche dramatische Dichtung unter von Hülsens Bühnenleitung jedes An­sporns entbehrt hätte, hinfällig nicht minder jene zweite Klage, daß die darstellenden Kräfte schwach und unausreichend gewesen wären.« 14 Fon­tane lobte an dem Verstorbenen seinen Takt, sein Urteilsvermögen, seine Erfahrungen, besonders seinen Charakter.»Botho von Hülsen gehörte zu den Beneidenswerten, die durch ihre Persönlichkeit erzieherisch wirken, einfach dadurch, daß sie da sind.« 15 Und er fand zur Charakterisierung der Tätigkeit Hülsens die bemerkenswerte Formel:»Ordnung schafft kein Ge­nie, aber das Genie, das dem Gesetze gehorcht, verdoppelt seine Kraft und vervierfacht seinen Segen.« 16 Diese Zeilen sind das Resultat einer tiefen Übereinstimmung, die sich in den langen Jahren des gemeinsamen Um­gangs entwickelt hatte. Auch Hülsen schätzte Fontane, wie sein Brief an das Ministerium des königlichen Hauses vom 23. März 1883 beweist: »wirklich tüchtige und zur Kritik vorgebildete Männer gibt es in Berlin vielleicht nur 5 oder 6, von welchen wieder nur einige eine Kenntnis von der Bühne besitzen, wie z. B. Theodor Fontane, während die andern oft wie Blinde von der Farbe sprechen.« 17 Die hier abgedruckten Briefe zeigen einmal mehr, dass vom Meinungs­streit um das Theater und die Theaterkritik nur der Teil sichtbar ist, der publik gemacht und in die Öffentlichkeit getragen wird, kaum mehr als die Spitze des Eisberges. Der Diskurs, an dem die Theater-Rezensenten betei­ligt sind, ist von existenzieller Bedeutung für einen umfangreichen Kreis von Personen: Autoren, Theaterdirektoren, Regisseure, Schauspieler jegli­cher Coleur, Primadonnen und Stars, Gäste, Ensemblemitglieder und Kom­parsen, je kleiner die Rollen, desto größer die Ambitionen, Prinzipale und Eigner, Verlage und Theateragenturen, Zeitungsmogule und Redak­teure, man kann gar nicht alle aufzählen, die durch und für das Theater le­ben. Nicht zuletzt gehören die Kritiker selbst dazu. Schließlich wollen sich auch Zuschauer und Leser ernstgenommen sehen, auch sie haben ihre ­Favoriten, Vorlieben, Erfahrungen und Grundsätze. Ruhm und Eitelkeit,