Heft 
(2018) 106
Seite
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Hasenfußdiplomatie? Möller 23 ­niemals so recht zu dieser Würde und Bürde bringen«. 27 Weil er Bühnenau­toren und Schauspieler zu nachsichtig behandelte, sei Fontane nicht mehr als ein»theaterkritischer Sonntagsjäger«. 28 Wenn er wirklich ausnahms­weise einmal eine kritische Volte schlüge, würde er sich sogleich ängstlich entschuldigen und Besserung geloben. Steins Sammlung ist nur ein Beispiel dafür, wie die Rezensenten durch ihre Tätigkeit selbst ins Kreuzfeuer der Kritik gerieten. Für einiges Rau­schen im Blätterwald sorgte auch die 1883 unter dem Titel Berliner Kunst­kritik mit Randglossen von Quidam erschienene Zitatensammlung, die be­weisen sollte, wie absurd und einander widersprechend die Urteile der Kunstkritiker zu den Exponaten der 56. Akademieausstellung ausgefallen waren. In der Annahme, ein in seiner Eitelkeit verletzten Künstler habe diese Publikation veranlasst, brach Karl Frenzel eine Lanze für das Recht der Kritiker auf Individualität und Subjektivität. Die Bedeutung der Kritik könne nicht hoch genug veranschlagt werden, ja er stellte die Kritik sogar über die Künstler, die tagtäglich als Bittsteller an seiner Klingeltür er­schienen, ein Satz, der eine heftige Kontroverse mit Anton von Werner nach sich zog, der das nicht auf sich sitzen lassen wollte. 29 Ist Fontanes beflissene Loyalitätsversicherung Hülsen gegenüber ein Beweis für sein Urteils-Ängstlichkeit und sein»theaterkritisches Sonn­tagsjägertum«, die ihm von Ludwig Stein bescheinigt wurden? Oder muss man seinen Brief eher als Schlüsseldokument werten für den Gewinn von Einsicht in die komplexen Zusammenhänge des Kritikerberufs? Bei aller Ergebenheit wollte Fontane nicht gänzlich darauf verzichten, seine auf»in­dividueller Ueberzeugung« beruhenden persönlichen Ansichten auszu­sprechen,»nur zur Wahrung des Prinzips«, wie er betonte. Ein fundamen­tales Prinzip, wie es durch die schrullige Figur Niels Wrschowitz in Fontanes letztem Roman Der Stechlin vertreten wird, war das wohl nicht: »[] wo Guttes sein will, muß sein Krittikk.[] Erst muß sein Kunst, ge­wiß, gewiß, aber gleich danach muß sein Krittikk. Krittikk ist wie große Revolution. Kopf ab aus Prinzipp. Kunst muß haben ein Prinzipp. Und wo Prinzipp is, is Kopf ab.« 30 Das Prinzip, das Fontane selbst als Kritiker ver­trat, war offenbar ein ganz anderes.