Heft 
(2018) 106
Seite
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30 Fontane Blätter 106 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes Journalisten von Thaler nimmt Wechsler ganz entschieden in Schutz. Von Thaler habe»nie seine Feder in den Sold einer Partei gestellt, deren Ten­denzen und Bestrebungen er nicht geteilt«, er habe»stets in mannhaftem und opferfreudigem Mute für die deutsche Sache gekämpft. Es giebt in dem von nationalem Hader und Parteigetriebe verwüsteten Wien gar we­nig Journalisten, von denen man das Gleiche sagen kann.« 13 Die»deutsche Sache« war der federführende Gesichtspunkt für die Be­sprechung von Fontanes Kriegsbüchern und auch für Kriegsgefangen. Am 16. Februar 1871 war Karl von Thalers Beitrag Eine preußische Stimme über den Feldzug von 1866 in der Wiener Presse erschienen. Schon sechs Wo­chen später rezensierte er an derselben Stelle Fontanes Buch Kriegsgefan­gen(6. April 1871) und drei Wochen darauf den zweiten Band von Fontanes Der deutsche Krieg von 1866. Wiederholt macht sich hier der politische Standpunkt Thalers geltend, der nach dem Krieg von 1866 eine Aussöh­nung zwischen Nord und Süd wünscht und der in diesem Zusammenhang Fontanes Gerechtigkeitssinn, die zarte Rücksicht auf das 1866 besiegte Ös­terreich samt seiner Verbündeten, den süddeutschen Staaten, hervorhebt. Und so liest er auch in Fontanes Kriegsgefangen»(m)it wahrem Vergnügen [] von der herzlichen Brüderlichkeit zwischen den Süddeutschen und Norddeutschen, die sich unter allen Gefangenen zeigte«. Darüber hinaus streicht von Thaler jene Vorurteilslosigkeit und Objektivität positiv heraus, die Fontane der 1870/71 unterlegenen französischen Nation und den Fran­zosen entgegenbringt. Eine Vorurteilslosigkeit, die angesichts der massi­ven deutschen Kriegspropaganda und einer zum Teil hysterischen Franko­phobie im frisch gegründeten Deutschen Reich besonders hervorsticht. Als Literaturkritiker erweist sich von Thaler eher als Vertreter einer konservativen Richtung. Das lässt sich schon aus der ersten Sammelrezen­sion in der Neuen Freien Presse vom 4. April 1879 unschwer erkennen, in der von Thalers Kunstgeschmack, sein poetologischer Maßstab, unge­schminkt sichtbar wird. Er bespricht neben Vor dem Sturm Heyses Novel­lenband Das Ding an sich und einen einbändigen Roman des Wiener Schriftstellers Joseph von Weilen(1828–1889). Von Thaler stellt Heyses Ar­beiten an die erste Stelle, erfreut sich»an der schönen, edlen Form der Erzählung, der feinen Charakteristik der geschilderten Menschen und dem idealen Hauche, der wie das goldglänzende Sonnenlicht eine Sommer­landschaft, die einfachste Handlung verklärt. Die Anhänger des Realismus werden Heyse meist unbefriedigt aus der Hand legen. Er arbeitet wol ebenso gut wie ein Anderer nach Modellen, aber er porträtirt sie nicht blos, sondern er verleiht ihnen poetischen Adel. Heyse ist kein Photograph, der die Wirklichkeit copirt, und dem Gemeinen[] geht er ängstlich aus dem Wege. Kann er Natürlichkeit und Schönheit nicht vereinigen, dann opfert er lieber die erstere. Er kann zuweilen unwahr werden, niemals or­dinär.« 14