32 Fontane Blätter 106 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes saure Aufgabe, Erzeugnisse der modernen deutschen Belletristik durchblättern zu müssen.« 17 Auch das dritte Erzählwerk, Ellernklipp, findet von Thalers Beifall, vor allem weil es einer strengen Erzählökonomie folgt und das»in einem dünnen Bändchen darstellt, was Andere zu mehreren Bänden verwerthen«. Wohltuend hebt es sich daher von dem Vierbänder Zwei Kreuzherren von Lucian Herbert(Pseud. für Julius Gundling, 1828–1890) ab, der in einem biographischen Roman das Leben des Schriftstellers Charles Sealsfield ausschlachtet. Alle weiteren Werke, die von Thaler noch aufführt und mit denen Fontanes Ellernklipp an dieser Stelle konkurriert, Erbschaft des Blutes von Rudolf von Gottschall(1823–1909), Südlicher Himmel von Emma Vely(1848–1934) oder Eine Schwedenkönigin von Marie von Najmajer (1844–1904) sind vorwiegend sogenanntes Leihbibliothekenfutter und keine ernst zu nehmenden Kunstprodukte. Ihre Existenzberechtigung verlieren diese Bücher in von Thalers Augen nicht. Er liest die Bücher genau, nimmt sie ernst und ist um ein ausgewogenes Urteil bemüht. Als Kritiker war ihm ohne Zweifel auch daran gelegen, anspruchsvolle Unterhaltungsliteratur zu fördern, die sich in den Grenzen des Schicklichen zu bewegen und den hehren Idealen des Guten-Wahren-Schönen zu dienen hatte. Es dürfte kaum überraschen, dass Karl von Thaler später den aufkommenden Naturalismus entschieden bekämpft hat. Das wird unter anderem aus einer Rezension des kulturpessimistischen, Aufklärung und Moderne verteufelnden Buches Rembrandt als Erzieher von Julius Langbehn deutlich, in der von Thaler 1890 sein weltanschauliches, literaturkritisches Credo so artikuliert:»Wir verstehen die Schönheit nicht mehr zu bewundern, wir zergliedern sie. Dadurch geht das Vermögen, wahrhaft Schönes zu schaffen, allmälig verloren, und das letzte Ergebniß dieses Processes ist der Naturalismus. Unser Autor[Julius Langbehn] hätte nicht blos Zola als abschreckendes Beispiel anführen sollen. Seine deutschen Nachtreter sind noch schlimmer. Sie verleugnen das ureigene germanische Wesen und glauben dadurch eine neue deutsche Literatur-Epoche heraufführen zu können. Sie verfahren nach einem wissenschaftlichen System, d. h. sie machen die Beobachtungen und Erfahrungen des täglichen Lebens zur Grundlage der Poesie, die Phantasie zum Famulus der Empirik, gegen alte Geistesschätze des Volkes, gegen Sagen und Märchen haben sie einen ausgesprochenen Widerwillen; sie vermeiden die Berührung mit jedem, selbst dem kostbarsten nationalen Erbstück, welches die Patina der Zeit trägt. Auch ihnen und ihren Gesinnungsgenossen in den bildenden Künsten[…] wird der Kampf um jene Wiedergeburt des deutschen Geistes gelten müssen[…]«. 18 Spätestens hier wird deutlich, wie weit Karl von Thaler und Theodor Fontane weltanschaulich auseinander lagen. Während Karl von Thaler mit den nationalkonservativen, völkischen, mystisch verquasten und anti
Heft
(2018) 106
Seite
32
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten