Heft 
(2018) 106
Seite
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38 Fontane Blätter 106 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes hätte, sofort erkannt haben, daß er einen Berliner Schriftsteller zum Ver­fasser haben müsse, der in der Alt- und Neumark wie in seiner Wohnung zu Hause sei. Nicht minder genau kennt Fontane das alte Berlin, in das er uns im drit­ten Bande führt. Dieser Band ist charakteristisch für die ganze Art des Romans. Er besteht aus einer bunten Reihe lose zusammenhängender Genrebilder, die wie eine Wandeldecoration an dem Leser vorüberziehen, ihn meist unterhalten, mitunter auch den entgegengesetzten Eindruck her­vorbringen, aber zu der Handlung in gar keiner Beziehung stehen. Mit Ausnahme von einem oder zwei Capiteln könnte der dritte Band weggelas­sen werden, ohne daß man eine Lücke empfinden würde. Der einzige Zweck dieser Episoden, in denen Dutzende von Personen auftreten, denen wir später nicht mehr begegnen, ist der, ein Bild der Stimmung im damali­gen Berlin zu geben. Aber auch diese Absicht ist nicht immer festgehalten. Beispielsweise die Abendgesellschaft bei Frau Hulen, deren realistische Beschreibung tief unter dem sonst von Fontane festgehaltenen Tone steht, hat nicht den leisesten Bezug auf den Befreiungskrieg, den jener Winter vorbereitete. Daß manche dieser eingeschobenen Schilderungen sehr hübsch sind, wollen wir gar nicht leugnen. Die Wirthshausscene auf dem Windmühlenberge z. B. ist so farbensatt, daß man das Spießbürger-Quar­tett zeichnen möchte, das Fontane kannegießern läßt. Ueberhaupt liegt sei­ne Stärke in der plastischen Deutlichkeit, mit welcher er die Nebenfiguren ausarbeitet. Das Beiwerk ist ihm Hauptsache, und an die Gestalt des säbel­beinigen Generals v. Bamme hat er mehr Mühe gewendet, als an den ju­gendlichen Helden des Romans. Der alte Berndt v. Vitzewitz ist fast allein unter den Hauptpersonen mit Sorgfalt charakterisirt; die Frauen des Ro­mans hinterlassen keinen Eindruck, die alte Gräfin Pudagla streift an die Caricatur. Vorzüglich dünkt mir die Schilderung des nächtlichen Ueberfal­les auf Frankfurt an der Oder und des Kampfes in der Stadt. Man erkennt hier den Kriegscorrespondenten, der Schlachten gesehen hat. Rühmend möchte ich auch die Unparteilichkeit hervorheben, mit welcher Fontane von den Franzosen spricht. Trotz der Zeit, in die er uns versetzt, trotz der nationalen Begeisterung, die ihm stellenweise die Feder führt, entschlüpft ihm kein Wort des Hasses oder der Ungerechtigkeit wider Frankreich. Als Lewin v. Vitzewitz die ersten französischen Soldaten aus Rußland in Berlin ankommen sieht, faßt ihn tiefes Mitleid mit den Feinden, gegen die der Vernichtungskampf geplant wird. Ein echter deutscher Zug; unbrauchbar, ja gefährlich, wenn es sich um politische Dinge handelt, aber in der Litera­tur möchten wir ihn nicht missen. [] K. v. Th.