Heft 
(2018) 106
Seite
40
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40 Fontane Blätter 106 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes Neue Freie Presse. Wien. Nr. 6240, 10. Januar 1882, Abendblatt, S. 4 Neue Romane und Novellen.[Darin:]»E l l e r n k l i p p«. [] Obwol selbst ein fruchtbarer Schriftsteller, bildet Theodor Fontane doch einen Gegensatz zu Lucian Herbert, weil er sich stets bemüht, seine Stoffe zu vertiefen, und weil er in einem dünnen Bändchen darstellt, was Andere zu mehreren Bänden verwerthen. Seine neueste Erzählung bildet das Sei­tenstück zu»Grete Minde«. Sie ist ebenso einfach und schlicht, aber auch ebenso natürlich und wirkungsvoll. Die Handlung läßt sich in wenigen Zei­len wiedergeben. Der Haidereiter Baltzer Bocholt verliebt sich in seine Pfle­getochter und stößt um ihretwillen seinen eigenen Sohn von der»Ellern­klipp« in die Tiefe. Er heiratet das Mädchen. Eine freudlose Ehe, ein sieches Kind entschädigen ihn nicht für den nagenden Wurm in seiner Brust, und endlich erschießt er sich dort, wo die Leiche seines Opfers in das Moor versank. Das Kind stirbt in derselben Nacht, die Mutter folgt ihm bald und bestimmt zu ihrer Grabschrift den Spruch:»Ewig und unwandelbar ist das Gesetz.« In diesem Satze liegt die Moral der Erzählung. Sie ist trüb wie der Himmel, der im Herbst über dem Harz hängt, und herb wie die Heidelbee­ren, die auf seinen Abhängen wachsen; aber sie erschüttert den Leser. Für weiche, nervöse Naturen möchten wir»Ellernklipp« allerdings so wenig empfehlen wie»Grete Minde«, und als einschläfernde Lectüre im Bette schon gar nicht. Wer diese sucht, muß zu Büchern von weit mehr gepriese­nen Autoren greifen, bei denen man oftmals sanft einschlummern kann. [] K. v. Th.