Heft 
(2018) 106
Seite
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Gretes Amulett und Effis Chinese  Wegmann 45 Die berühmteste Spukgeschichte Fontanes handelt von einer jungen Frau und einem Chinesen. Dieser Chinese ist ein kleines Fibelbildchen. Es ist kein Schutzheiligenbild, sondern ein Schreckensbild. Dass aus dem winzi­gen Bild eines Asiaten mit blauem Rock und gelben Pluderhosen ein Ge­spenst und ein mächtiger Angstapparat entstehen konnte, der mehrere Menschenleben zerstört, ist ein einzigartiger Fall von bildmagischer Wir­kung. Das Missverhältnis von Auslöser und Folgen ist so extrem, dass eine Art Verstärker am Werk gewesen sein muss. Wir werden sehen. Madonnen und Heilige Bilderglauben und Aberglauben Das eigenartige Gebräu, das Christentum und Aberglauben in der vormo­dernen Welt bilden, hat in Fontanes Romanen eine starke Bildspur hinter­lassen. So schützte einst die»heilige Jungfrau im Kirchenbanner« von ­Hohen-Vietz Dorf und Schloss, als die Hussiten 1432»sengend und brennend in Lebus und Barnim vordrangen« 4 wahrscheinlich haben die bewaffneten Bürger Barnims wesentlich mehr zu diesem Wunder beigetragen. Und ganz in der Nähe von Hohen-Vietz verehrten zur selben Zeit die zum Kloster Lehnin gehörenden Kirch-Göritzer in einer Kapelle»›ein wun­derthätiges Marienbild‹« 5 , das mit der Zeit einen riesigen Zulauf von Pilgern auslöste, die von der Muttergottes Heil, Heilung und Ablass erbaten und dem Bischof und den Göritzern seit 1342 schöne Einkünfte bescherten. Am Wallfahrtsort erwarben die Gläubigen gerne Pilgerzeichen, die sie fortan wie Pins an ihre Kleidung hefteten, um die Kraft des wundertätigen Bildes stets bei sich zu haben. Das Betrachten der heiligen Zeichen wirkte auf die Gläubigen wie eine»Augenkommunion« 6 . Das Pilgerwesen ging so weiter bis tief in die Reformationszeit hinein, da wurde es aber dem reformierten Markgrafen zu bunt und er beschloss 1551, mit seinen regulären Truppen und einem»›wilden, regellosen Haufen‹« von protestantischen Herumtrei­bern den katholischen Aberglauben ein für alle Mal auszumerzen:»›Das Muttergottesbild sah sich von seinem Standort gestürzt und in unzählige Stücke zerschlagen; alles andere: Chorstühle, Schnitzereien, Trauerfahnen, wurden zerrissen oder verbrannt‹« 7 , weiß Lewin von Vitzewitz einem Freund zu berichten, als die beiden in der Nähe des Dorfes durchs winter­liche Oderbruch reiten. Solche Bilderstürme fegten im 16. Jahrhundert durch ganz Europa, nicht nur über den kleinen Marktflecken Kirch-Göritz, der dank einer wundertätigen Holzfigur zum einträglichen Wallfahrtsort ­geworden war. 8