Gretes Amulett und Effis Chinese Wegmann 47 sowie was auf dem Spiele steht oder auch bloß eine Gicht oder ein Zwicken kommt, so schiel´ ich nach meinem heiligen Stephan hinüber, der über meinem Schreibtisch steht[...], und sage: ›Nun hut´ dich und sput´ Dich, Stephanerl, und thu was für einen Magyar und ehrlichen Christenmenschen.‹ Und sieh, Fränzl, ich denke mir, so was steckt in jedem und am End‘ auch in einer kleinen, lieben Ketzerseele.‹ 12 Als ungarischer Patriot wendet sich Graf Petöfy natürlich nicht an den Oberösterreicher Florian, sondern an den magyarischen Nationalheiligen Stephan, den Begründer des ungarischen Königtums. Der wacht unablässig über seinem Schreibtisch. Es handelt sich beim Grafen Petöfy um einen Fall von habituellem Aberglauben, wie man ihn im Alltagsleben häufig vorfindet, etwa wenn jemand die Dreizehn meidet oder sich bei Gefahr bekreuzigt. Der heitere Ketzer Petöfy ist zur Einsicht gelangt, dass sich auch abgebrühte Freigeister in Augenblicken der Gefahr automatisch an archaische Bräuche halten, selbst wenn sie nichts nützen sollten. Abb. 4–5. Der»Lieblingheilige« der katholischen Reichsgräfin Judith von Gundolskirchen ist der Heilige Florian, der Schutzpatron Oberösterreichs und ein Beispiel übermenschlicher Glaubensstärke. Judiths Bruder, der Agnostiker Graf Petöfy, glaubt »›eigentlich nichts‹«, richtet aber doch in Notfällen ein Stoßgebet an den Heiligen Stephan, den ungarischen Nationalheiligen. Das machtlose Amulett, der Georgstaler und der Schippenbube »›Es ist Götzendienst, Grete‹«, ermahnt der lutherische Pastor Gigas die vierzehnjährige Grete Minde, als sie ihm naiv und»in freudiger Erregung« die Goldkapsel zeigt, die sie unter ihrem Mieder trägt. Das Amulett sieht aus wie eine Pillendose. In ihren goldenen Deckel ist»eine Mutter Gottes in feinen Linien eingegraben«, und in ihrem Inneren liegt, in»ein rotes Seidenläppchen« 13 gewickelt, ein Splitter des Kreuzes.
Heft
(2018) 106
Seite
47
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