Heft 
(2018) 106
Seite
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Gretes Amulett und Effis Chinese  Wegmann 47 sowie was auf dem Spiele steht oder auch bloß eine Gicht oder ein ­Zwicken kommt, so schiel´ ich nach meinem heiligen Stephan hinüber, der über meinem Schreibtisch steht[...], und sage: ›Nun hut´ dich und sput´ Dich, Stephanerl, und thu was für einen Magyar und ehrlichen Christenmenschen. Und sieh, Fränzl, ich denke mir, so was steckt in jedem und am End auch in einer kleinen, lieben Ketzerseele. 12 Als ungarischer Patriot wendet sich Graf Petöfy natürlich nicht an den Oberösterreicher Florian, sondern an den magyarischen Nationalheiligen Stephan, den Begründer des ungarischen Königtums. Der wacht unabläs­sig über seinem Schreibtisch. Es handelt sich beim Grafen Petöfy um einen Fall von habituellem Aberglauben, wie man ihn im Alltagsleben häufig vor­findet, etwa wenn jemand die Dreizehn meidet oder sich bei Gefahr bekreu­zigt. Der heitere Ketzer Petöfy ist zur Einsicht gelangt, dass sich auch abge­brühte Freigeister in Augenblicken der Gefahr automatisch an archaische Bräuche halten, selbst wenn sie nichts nützen sollten. Abb. 4–5. Der»Liebling­heilige« der katholischen Reichsgräfin Judith von Gundolskirchen ist der Heilige Florian, der Schutzpatron Oberöster­reichs und ein Beispiel übermenschlicher Glaubensstärke. Judiths Bruder, der Agnostiker Graf Petöfy, glaubt »›eigentlich nichts‹«, richtet aber doch in Notfällen ein Stoßgebet an den Heiligen Stephan, den ungarischen Nationalheiligen. Das machtlose Amulett, der Georgstaler und der Schippenbube »›Es ist Götzendienst, Grete‹«, ermahnt der lutherische Pastor Gigas die vierzehnjährige Grete Minde, als sie ihm naiv und»in freudiger Erregung« die Goldkapsel zeigt, die sie unter ihrem Mieder trägt. Das Amulett sieht aus wie eine Pillendose. In ihren goldenen Deckel ist»eine Mutter Gottes in feinen Linien eingegraben«, und in ihrem Inneren liegt, in»ein rotes Sei­denläppchen« 13 gewickelt, ein Splitter des Kreuzes.