Heft 
(2018) 106
Seite
48
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48 Fontane Blätter 106 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Das Amulett ist ein Erbstück ihrer verstorbenen Mutter, die eine Katholi­sche aus Brügge gewesen ist und dann einen Tangermünder Ratsherrn ge­heiratet hat, den Vater Gretes. Eine solche Kreuzesreliquie ist kein gewöhn­licher Anhänger, vor allem nicht zu Beginn des 17. Jahrhunderts, einer Zeit heftiger konfessioneller Spannungen. Die Mutter hat Grete ein heiliges Ob­jekt hinterlassen, das sie selber vor misstrauischen Augen aus guten Grün­den geheim halten musste. Das Amulett ist Gretes unmittelbarste Verbin­dung zur verstorbenen Mutter, die geistige Nabelschnur zu der Frau, die sie nie kennenlernen durfte und die man immer noch die»›Spansche‹« 14 nennt, weil sie aus einer Familie spanischer Besatzer in landern stammte. Von ihr hat Grete auch die schwarzen Augen, weshalb sie wie die Verstorbene im lutherischen Tangermünde als Fremde verschmäht und bald auch der Hexe­rei verdächtigt wird. Abb. 6. Grete Minde hat von ihrer katholischen Mutter ein schützendes Amulett geerbt. Es macht Grete im lutherischen Tangermünde verdächtig und hilft ihr nicht wirklich im Leben. »›Und ich will es dir nicht nehmen, Grete‹«, sagt der Prediger Gigas gnädig, » jetzt nicht. Aber ich denke, der Tag soll kommen, wo du mir es geben wirst.« Gigas gespielte Nachsicht tarnt die Drohung nur schlecht und Grete wird ihm die Goldkapsel auch nie geben. Es trifft indes etwas Wah­res, wenn er das Mädchen zur Leidensbereitschaft auffordert:»›Wir wollen sein Kreuz tragen.« 15 Die Goldkapsel hat Grete noch verdächtiger gemacht, vor allem bei ihrer bigotten Schwägerin Trud, die sie stets anschwärzt: »›Immer wenn sie mit mir spricht, so sucht sie nach dem Kapselchen mit dem Splitter, und hält es mit ihren beiden Händen fest‹«, giftet sie.»›Und schweigt sie dann, so bewegen sich ihre Lippen, und ich wollte schwören, daß sie zur heiligen Jungfrau betet.« 16 Diese erzfromme Trud ist eine ­Denunziantin.