50 Fontane Blätter 106 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte der heilige Georg abgebildet ist, heilen kann. Das Metall kühlt und das Bild des Drachentöters schützt. Harms Therapie hilft sogar eine Weile, dann aber bricht die Krankheit wieder aus und der schwache Wurm stirbt. Mutter Jeschke aus Tschechin ist eine Quacksalberin und Totenguckerin. Sie gibt sich wie der Kuhhirt Harms stets»freundlich und zuthulich« 21 , insgeheim aber intrigiert sie gegen ihre Nachbarn, bespricht Blut und weiß, wer als nächstes sterben wird. Ihren direkten Nachbarn Abel Hradscheck, einen Gastwirt und Kramladenbesitzer, drangsaliert sie mit dunklen Andeutungen und macht ihn ganz konfus, wenn sie vor ihm»mit ihrem Stock allerlei Figuren in den Sand« 22 malt, aus denen man nicht klug wird. Sind es magische Zeichen? Verwünschungen? Abel ist aber auch schnell aus der Fassung zu bringen, denn vor Geldnöten ist er ganz durcheinander und hat deshalb»auf einem Ständerchen, ganz nach Art eines Fetisch, zu dem er nicht müde« wird,»respektvoll und beinah mit Andacht aufzublicken«, ein »Viertelloos« aufbewahrt wie ein heiliges Objekt. Er wartet auf die richtigen Zahlen, aber die wollen einfach nicht kommen. Seine gläubige Frau dringt in ihn, daß er den Lotteriezettel wenigstens vom Ständer herunternehmen möge, das verdrösse den Himmel nur und wer dergleichen thäte, kriege statt Rettung und Hilfe den Teufel und seine Sippschaft ins Haus. Das Loos müsse weg. Wenn er wirklich beten wolle, so habe sie was Besseres für ihn, ein Marienbild, das der Bischof von Hildesheim geweiht und ihr bei der Firmelung geschenkt habe. Doch der beständig»zwischen Aber- und Unglauben hin und her schwankende Hradscheck« will vom katholischen Zauber nichts wissen, denn sein Dorf ist lutherisch und er möchte nicht ins Gerede kommen. Als er schließlich den Lotteriezettel zerreißt, die Schnipsel in die Luft wirft und den Fetzchen nachschaut, wie sie vom Wind»die Straße hinauf bis an die Kirche geweht« werden, erblickt er in diesem Fetzenflug ein Zeichen und ein gutes Omen und sagt sich:»›Das bringt Glück.‹« 23 Darin täuscht er sich allerdings sehr. Er hat nämlich noch eine Leiche im Keller liegen, den Krakauer Handelsreisende Szulski, bei dem er tief verschuldet war. Gegen diese Leiche hilft kein Marienbild und kein Glückszeichen. Eine Außenseiterin ist auch die zwergwüchsige Wendin Hoppenmarieken, eine im Oderbruch herumgeisternde Botengängerin und Tauschhändlerin, eine Kleinkriminelle und Wahrsagerin, die im Schubkasten ihrer Kate gleich neben dem Kirchengesangbuch ein Kartenspiel aufbewahrt, denn auch bei ihr liegen Kirche und Aberglauben dicht beisammen. Den liederlichen Dorfmädchen legt sie die Karten und auch ihre eigene Zukunft schaut sie sich darin an. Dazu benutzt sie»deutsche Karten: Schippen, Herzen, Eichel«, die sie ständig neu mischt und»wohl eine halbe Stunde lang aufgelegt, gemischt und wieder aufgelegt« hat,»ohne dass die Karten kommen wollten, wie sie sollten«. Dass hartnäckig immer wieder»der
Heft
(2018) 106
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50
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