Gretes Amulett und Effis Chinese Wegmann 51 Schippenbube« auftaucht und»ihr nicht von der Seite« weichen will, gefällt ihr überhaupt nicht, denn sie weiß»ganz genau, wer der Schippenbube« 24 ist. Und dass ihr dieser junge Bösewicht in einem Alptraum gar die Tasche wegzureißen versucht, macht das Kartenorakel noch schlimmer. Im kalten Winter 1813 findet man sie bald danach auf einem Prellstein sitzen. Da sitzt sie lange, starrt erstarrt vor sich hin, tot.»Ob erfroren oder vom Schlage getroffen«, lässt sich nicht mit Gewissheit feststellen.»Vom Schlage getroffen« 25 könnte durchaus zutreffen, falls sie unterwegs dem leibhaftigen Schippenbuben begegnet ist. Bevor es zu diesem kalten Ende am Straßenrand kommt, hat Hoppenmarieken aber noch ihren größten Auftritt als Magierin. Wie nämlich eines Nachts der Saalanbau des Herrenhauses von Hohen-Vietz, in dem es übrigens wegen eines Brudermords seit langem spukt, lichterloh brennt und es den Spritzenmännern kaum gelingen will, wenigstens das Haupthaus vor den Flammen zu schützen, taucht plötzlich die Zwergin aus dem Dunkel auf. Von ihr heißt es, und das wissen alle in der Gegend, sie könne Feuer»›bespreken‹«. Der Hausherr willigt aber erst in das Prozedere ein, als ihn der Pastor mit den Worten beschwichtigt:»›Wer Gott im Herzen hat, dem muß alles dienen, Gutes und Böses.‹« So marschiert denn die Zwergin, wie wir von einer Augenzeugin erfahren,»›rasch auf die Stelle zu, wo der alte Saalanbau mit unserem Wohnhaus einen rechten Winkel‹« bildet, macht zwei, drei Zauber-Zeichen, spricht»›ein paar unverständliche Worte‹« und steckt »›ihren Hakenstock scharf in die Ecke hinein‹« 26 – als Brandschutz. Wie bei fast jedem magischen Vorgang kommen auch in diesem Fall Bilder und Zeichen zum Einsatz. So wie Mutter Jeschke mit dem Stock rätselhaften Figuren in den Sand kritzelt, zeichnet Hoppenmarieken mit ihren Händen magische Formeln in die flammenhelle Nacht, wohl Schnecken oder Kreise oder Rauten oder Andreaskreuze – die klassischen Abwehrzeichen, um Feuer oder Blitz zu bannen 27 . Und der gekrümmte Hakenstock, den sie»›statt ihrer selbst an der Brandstätte‹« 28 zurücklässt – sozusagen als abstraktes Abbild ihrer verzwergten Gestalt –, bleibt als Realpräsenz ihrer magischen Kräfte in der Ecke von Haupthaus und brennendem Anbau stehen und wird an dieser kritischen Stelle weiter wirken wie ein Zauber-Homunkulus. Die Feuerwehr könne nun abziehen, kommandiert sie – und tatsächlich fällt das Feuer bald in sich zusammen. Von all dem sind wir Leser aber nicht direkte Zeugen, wir erfahren davon erst aus einem Brief, den Renate von Vitzewitz, die Tochter des Hauses, ihrem Bruder nach Berlin schickt. Darin berichtet sie, wie sie um Mitternacht von Lärm geweckt wird und sieht, wie aus der Mitte des benachbarten Saalanbaus eine Flamme in den Himmel schlägt. Rasch kleidet sie sich an und geht in den Hof hinunter, wo sie die Löscharbeiten verfolgt und dabei von einer euphorischen Freude erfüllt wird. Dass der Angst einflößende Saalanbau, der Ort eines Brudermords und eines fortdauernden
Heft
(2018) 106
Seite
51
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