Gretes Amulett und Effis Chinese Wegmann 53 Aufklärung und Technikboom haben dem guten alten Gespenst keineswegs den Garaus gemacht. Im Gegenteil, das flüchtige Wesen irrlichterte weiter durchs Jahrhundert des Fortschritts, man hat ihm sogar mit wissenschaftlichen Methoden zu Leibe rücken, hat es fotografisch und akustisch dingfest machen oder als Informationsquelle nutzen wollen, wie die Spiritisten in ihren Séancen. Und es kamen neue Gespenster hinzu: die revolutionären Verschwörer im Untergrund; mächtige Maschinen, welche Menschen in Maschinen verwandeln; die jedem Alltagsverstand spottende Elektrizität; der drohende Kältetod der Welt. Schließlich das unfassliche Unterbewusste, das»innere Afrika«, wie Jean Paul es nannte und das schon lange vor Freud als ›Dämon‹ oder dunkle Energie entdeckt worden ist. 31 Auch Fontane verspürte etwas von dieser Kraft, wie bei der Niederschrift von Effi Briest deutlich wurde:»Ja, die arme Effi!«, schrieb er seinem Verleger.»Vielleicht ist es mir so gelungen, weil ich das Ganze träumerisch und fast wie mit einem Psychographen geschrieben habe. Sonst kann ich mich immer der Arbeit, ihrer Mühe, Sorgen und Etappen, erinnern – in diesem Falle gar nicht. Es ist so wie von selbst gekommen, ohne rechte Überlegung und ohne alle Kritik.« 32 –»Ja, die arme Effi!« Der mitfühlende Seufzer der Autors könnte bedeuten, dass ihm der»Psychograph« nicht nur als Schreibhilfe gedient hat, sondern auch als Sonde ins»innere Afrika« Effis, wobei es sich, wie man sehen wird, in ihrem Fall um ein ›inneres China‹ handelt. Zuerst wenden wir uns aber der Gräfin Amelie von Pudagla zu, der Herrin von Guse. Sie ist eine ganz vom Freigeist des französischen Dixhuitième durchdrungene Dame und ein Paradebeispiel für die Paradoxie des Gespensterunglaubens. Die kluge ›Libertine‹ lässt nämlich jeden Abend»einen grünseidenen Vorhang über den Trumeau«, also den Stehspiegel, herabrollen, denn in ihrem Schloss geht wie in den meisten Schlössern ein Hausgespenst um,»und zwar eine schwarze Frau«. Diese überall auftauchenden ›schwarzen Frauen‹ gelten»bei Kennern als die allerechtesten Spuke, gerade weil ihnen das fehlt, was dem Laien die Hauptsache dünkt: eine Geschichte. Sie haben nichts als ihre Existenz; sie erscheinen bloß.« 33 Gesehen hat die Gräfin die ›schwarze Frau‹ noch nie und sie glaubt auch nicht wirklich daran. Dennoch lebt die sonst so beherzte und aufgeklärte Gräfin»in einem steten Bangen vor dieser Erscheinung«, insbesondere vor der Gefahr,»daß sie möglicherweise einmal einem bloßen Irrtum, ihrem eignen Spiegelbilde, zum Opfer fallen könne«, da sie sich als Witwe»immer schwarz« 34 kleidet und gewissermaßen ihre eigene ›schwarze Frau‹ darstellt. Und so geschieht denn auch nach ›Murphy’s Law‹ das Schlimmste: Eines Abends vergisst das Hausmädchen, den grünseidenen Vorhang über den Trumeau zu rollen, und die Gräfin erblickt wohl plötzlich, von ihrer Lektüre aufschauend, ihr eigenes Spiegelbild als ›schwarze Frau‹ direkt vor sich. Jedenfalls findet man sie am Morgen tot»in dem großblümigen
Heft
(2018) 106
Seite
53
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