Heft 
(2018) 106
Seite
54
Einzelbild herunterladen

54 Fontane Blätter 106 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte ­Lehnstuhl zu Füßen ihres Bettes, ihre noch offenen Augen auf den Steh­spiegel gerichtet«. Das Buch, das der Sterbenden aus der Hand gefallen ist und nun neben dem Stuhl liegt, ist»ein Band Diderot« 35 wer weiß, viel­leicht gar der Band der Enzyklopädie, wo unter dem Lemma ›Adler‹ zu lesen ist:»Der Aberglaube ersinnt eher die verrücktesten und plumpsten Hirnge­spinste, als daß er Ruhe gibt.« 36 Möglicherweise spielt bei dieser außerordentlichen Begebenheit auch der Umstand eine Rolle, dass Gräfin Amelie von Pudagla, so lebendig und witzig sie sich gibt, eigentlich selbst eine ›Wiedergängerin‹ ist: Ihr Dasein als junge Hofdame im Rheinsberg des Prinzen Heinrich war die Glanzzeit ihres Lebens, davon zeugen in ihrem alten Schloss Bilder und Gegenstände, von jenem Höhepunkt schwärmt und erzählt sie gerne und oft, so dass sie wie ein Revenant der vergangenen Rheinsberger Tage auftritt. Im Fall der freigeistigen Gräfin wird die Paradoxie des Gespensterun­glaubens noch einen Tick weiter getrieben: Auch selbst verfertigte Ge­spenster können töten, so etwa ließe sich die paradoxe Sachlage formulie­ren.»›Wer ein Gespenst großzieht, den bringt es um‹«, kommentiert denn auch Tante Schorlemmer im nahen Hohen-Vietz, wo man vom ungewöhnli­chen Tod der Gräfin erfahren hat. Und die glaubensfeste Herrnhuterin fügt eine weitere Erkenntnis hinzu: Wenn ein Gespenst auftauche, so dürfe man »›seiner nicht achten‹«, auf keinen Fall, denn Gespenster könnten»›Mißach­tung nicht ertragen‹.« 37 Die Macht der Gespenster, die uns in einen Angst­strudel hinabziehen kann, lässt sich nur durch Nichtbeachtung brechen so die modern anmutende Seelenlehre der Herrnhuterin. ›Schwarz‹ oder ›weiß‹ es läuft auf dasselbe hinaus. Die ›schwarze Frau‹ der Gräfin Amelie und die ›weiße Frau‹ im nahen Schloss Hohen-Ziesar sind Spielarten desselben»allerechtesten Spukes« 38 . Aber ganz so einfach stellt sich die Sache auf Hohen-Ziesar nicht dar, denn die ›weiße Frau‹ in der Schlossgalerie soll, wie man hört, das preußische Hoffräulein Wangeline von Burgsdorff darstellen, gemalt»von einem Niederländer aus der Van­dyckschule« 39 . Die Abgebildete hat also durchaus eine Geschichte, in den Worten des Hausherrn von Hohen-Ziesar, des Grafen Drosselstein, geht sie so: Wangeline von Burgsdorff war Hoffräulein und stand im Dienst einer Herrin, die rücksichtslos und ehrgeizig dem aus erster Ehe stammenden Erbprinzen die bekannte ›vergiftete Orange‹ zubestimmt, aber vorläu­fig nur ans Krankenlager gestellt hatte. Da, von plötzlicher Reue befal­len, beschwor sie das Fräulein, in das Zimmer des Kranken zurückzuei­len, um diesen zu retten, wenn überhaupt noch zu retten sei. Und über die Korridore hin flog jetzt die leichtverhüllte Gestalt Wangelinens, bis ein ihr plötzlich entgegentretender Kavalier, an dem sie leidenschaftlich hing, ihren flüchtigen Gang auf Augenblicke hemmte. Auf Augenblicke nur, aber lange genug, um den Tod des Prinzen zu verschulden. Sie kam