Heft 
(2018) 106
Seite
57
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Gretes Amulett und Effis Chinese  Wegmann 57 Abb. 10–11. In einem Reisehandbuch stößt Effi Briest auf»ein stark nachgedunkeltes Frauenporträt, kleiner Kopf, mit herben, etwas unheimlichen Gesichtszügen und einer Halskrause, die den Kopf zu tragen scheint«. Es ist die schwarz gekleidete ›weiße Frau‹ in der Bayreuther Eremitage, die sogar den cleveren Napoleon Bonaparte zu Tode er­schreckt hat. Das Fibelbildchen eines Chinesen mit blauem Rock, Pluderhosen und flachem Hut, gefunden in einem Dachzimmer des Kessiner Hauses, löst in Effi Briest schreckliche Ängste aus. Vorhängen stammen soll, die im oberen Saal vom Windzug über den Boden geschleift werden, diese Auskunft des Personals beruhigt sie nicht wirk­lich. Richtig entfacht hat sich die Spukangst an einem Fibelbildchen, das Effi vor Tagen in einem gelb getünchten Dachzimmer des Hauses entdeckt hat, ein»nur einen halben Finger langes Bildchen«, das an die Lehne eines durchgesessenen Binsenstuhls geklebt war und»einen Chinesen darstellte, blauer Rock mit gelben Pluderhosen und einen flachen Hut auf dem Kopf«. Auf die Frage»›Was soll der Chinese?« 45 , hat ihr Gatte keine rechte Ant­wort gewusst. Eines der Hausmädchen werde es wohl hier angeklebt ha­ben, meinte er. Aber warum? Effi bleibt misstrauisch, und das Bildchen bleibt im Haus. Wie aus diesem Bildfetzchen ein Schreckenszeichen werden konnte, ist aus den Lebensumständen einigermaßen rekonstruierbar: Effi Briest, eine junge Frau mit Phantasieüberschuss, ist im engen Kreis ihres Elternhauses in Hohen-Cremmen aufgewachsen, ein ausgelassenes Mädchen, gut behü­tet und in Spielen versunken als sie ganz plötzlich, siebzehnjährig, völlig ahnungslos und ohne gefragt zu werden, mit einem viel älteren Mann ver­heiratet wurde. Was da geschah, verstand sie eigentlich nicht, und von der