Heike Gfrereis im Interview mit Peer Trilcke 77 Performativität und ›Mache‹(auch wieder so ein Fontane-Wort) überdeutlich, wenn man es mit den Umgebungen eines Texts im Archiv zu tun hat: mit dem, was vor und um ihn herum passierte, mit seinen Avant-, Para-, Epi- und Posttexten, mit den dinglich gewordenen Praktiken des Schreibens und Lesens in einem sehr weiten Sinn. 12 In Fontanes Notizbüchern funktionieren die meisten Skizzen gerade noch nicht oder in manchen Fällen auch nicht mehr als poetische Texte, sie sind für den Autor potentielles poetisches Material wie die Form, in der er ins Schreiben kommt. Der öffentliche Diskurs über Literatur ist jedoch immer noch von einer Art religiöser Erwartung geprägt, sie vermittle Bedeutung, stifte Sinn, besäße Tiefe, böte Orientierung und helfe uns beim Leben. Nach der Bedeutung, die ein Autor für unsere Zeit hat, wird man als Kurator sehr häufig gefragt, aber selten danach, was seine Kunst auszeichnet, wie etwas geschrieben ist und was dieses ›Wie‹ mit uns(und auch dem Autor) macht. Wir haben den Dichterfürsten und den Literaturpapst aus dem 18. Jahrhundert über die Traumata des 20. Jahrhunderts ins 21. mitgenommen. Als ob der Autor selbst die Instanz wäre, die unmittelbar für den Sinn einstünde, besonders dann, wenn sich seine Biographie als Leidens- oder wenigstens Exklusivgeschichte erzählen lässt. Schon Fontane selbst hat mit seinen beiden ja tatsächlich sogar als ›Lebenshilfe‹ verfassten autobiographischen Büchern diesen Topos ›Er litt, schrieb und starb‹ deutlich unterlaufen. Das einzige, was er in Meine Kinderjahre allen unschönen Erfahrungen zum Trotz, die man auch als Serie traumatischer Verletzungen hätte erzählen können, biographisch begründet, ist das vom Vater ererbte ›Wie‹ seiner Erzählungen: das Plaudern und Plaudernlassen, die Freude an Wortbedeutungen und-klängen, das Skalierenkönnen von Geschichten, das Klein- oder Großerzählen, der dazu passende künstlerisch-künstliche Umgang mit Papier und Schreibtisch, denn der Vater»saß gern an diesem seinem Sekretär und hing mehr oder weniger an jedem Kasten und Schubfach desselben«. 13 PT: Dieser Aspekt des Papier- und Textarbeiters Fontane wird in der von Dir kuratierten Ausstellung im Museum Neuruppin eine große Rolle spielen. Wie stellt man so etwas aus? HG: Fontanes Vorliebe für das Drehen und Wenden von Papier, das dialogisierende Mischen, Verschneiden und Sampeln von ›Stoff‹, für Punkte und Linien, Zahlen und Listen kann man ja tatsächlich sehen. Schreiben ist hier sehr konkret und buchstäblich: Wörter, Sätze und Geschichten gleichsam zur Erscheinung zu bringen und dinglich werden zu lassen. Für eine Ausstellung von Handschriften ist das ein großer Vorteil. Wobei man selbst dann sehen kann, in welchen Richtungen und Stufen und wie Fontane das Papier beschrieben hat, wenn man die Schrift nicht lesen kann. Aber natürlich sind diese sichtbaren Elemente relativ bescheiden, die Notizbücher klein, die Handschriften kaum lesbar und so etwas wie eine Reihe von der
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(2018) 106
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77
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