Heft 
(2018) 106
Seite
80
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80 Fontane Blätter 106 Freie Formen HG: Die Ausstellung ist in drei große Kapitel gegliedert.»Fontanes Kopf. Schreiben« konzentriert sich auf seine kreativen Techniken und die pro­duktive Materialität seiner Schreiboperationen. In den beiden anderen Kapiteln steht die daraus hervorgegangene Machart seiner fiktiven und auch faktualen Texte im Mittelpunkt:»Fontanes Erfindungen. Texten« und »Fontanes Wörter. Mixen«. Wir zeigen hier auf der Wort- und Textebene und damit anhand der Lexik, Rhetorik, Syntax und Interpunktion, der Konstellation und Interaktion der Figuren, Orte und Dinge, was Fontanes Texte so besonders macht: Strukturen, die mit Hilfe eines Banalitätsüber­schusses das Erzählte als real ausgeben und zugleich mit Vorahnungen, Spuren und Beweisen durchdringen. Der Effekt dieser Strukturen ist, dass die erzählte und ziemlich banale Welt labil wirkt und hinter dem, was wir als Wirklichkeit bezeichnen, das Menschliche sein Unwesen zu treiben scheint: Ängste, Träume, Irrtümer, Schwächen und Nervositäten und da­mit dann auch so etwas wie das Wunderbare, Unbewusste, Unheimliche, Wahre und Komische. In Effi Briest bündeln sich diese Fehlleistungen ein­drücklich um einen einzigen Moment, Effis ›Fehltritt‹ mit Crampas. Fonta­ne hat, so könnte man das zuspitzen, aus dem goetheschen Kunstroman, unter dessen Oberfläche eine tiefere, mythologische Ebene steckt, so etwas wie den modernen Alltagsroman entwickelt, in dem diese Ebene in allen Banalitäten und Langweiligkeiten immer noch wirksam ist. Mit Hilfe digitaler Textanalysen, wie Du sie machst und wie wir sie mit unserem Hackathon angestoßen haben, wollen wir das zum einen über­haupt erst einmal überprüfen, konkretisieren oder auch relativieren, zum anderen aber in der Ausstellung sichtbar machen. Mit ganz unterschiedli­chen Annäherungen, von der Liste der häufigsten wie der seltensten Wör­ter über die Satzzeichen-Serialisierung und die Substantiv-Cloud zum Fi­gurennetz, das wir dann in einem Raum skizzenhaft in ein reales Modell übersetzen: Wie zum Beispiel knüpft Effi in Effi Briest Verbindungen zu anderen Figuren? Was sagt sie zu ihnen? Welche Wortfelder treffen dabei aufeinander? Wie grenzen sich die Figuren voneinander ab? Und wie wird dadurch ein von Interpretationen zugeschütteter Text wieder erfahrbar und vielleicht sogar spannend, weil ich mich als Besucher traue, meinen eigenen Pfad von Fragen und Träumen durch diesen gleichsam ausgenüch­terten Text zu legen? Darin liegt für mich ein großes Faszinosum digitaler Textanalysen: Sie zielen auf die Sichtbarkeit und Erfahrbarkeit von Textualität und damit auf die dynamische Materialisierung und Visualisierung von Literatur, gerade weil sie durch Formeln und Algorithmen die ästhetische Erfahrung, die Interpretation und Reflexion für eine Weile ausschließen. Wie schaut eine Rechenmaschine auf die Poesie? Was kommt heraus, wenn wir nicht sofort alles auf uns beziehen und empathisch selbst noch das Unverständlichste verstehen? Denn dabei ertappt uns die digitale Textanalyse: Wir sind