Heft 
(2018) 106
Seite
86
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86 Fontane Blätter 106 Freie Formen seiner Reisen begegnet ist, beschrieben, indem er notiert hat: das ist so hoch wie das Notizbuch breit ist. Diese Art von Anschaulichkeit finde ich großartig, man sieht hier, wie Fontane wirklich mobil gearbeitet hat. Im zweiten Fall ist es tatsächlich ein einzelnes Objekt, und zwar das Kirchenbuch von Gröben. Fontane hat im Spreeland- Band, genauer im Ka­pitel Gröben und Siethen, über die Familie Schlabrendorf gearbeitet. Über mehrere Seiten zitiert er dort aus dem Gröbener Kirchenbuch, denn darin kämen, so kommentiert er, allerhand»Illegitimitäten« vor. Zwei Pfarrer schreiben sich da offenbar ihre Empörung von der Seele, darüber, wie es in diesem Ort so zugeht, welche Frau etwa ein»Schandsack« sei. 3 Das prä­sentiert Fontane mit Genuss. Und nun das Großartige: Man blättert dieses Kirchenbuch auf und sieht, dass es auf den Seiten, aus denen Fontane zi­tiert hat(es geht um die Zeit ab dem frühen 17. Jahrhundert), Anstreichun­gen gibt. 4 Ob die tatsächlich von Fontane stammen, lässt sich nicht mit Si­cherheit sagen, aber es sind vielfach die Stellen zu den Schlabrendorfs, das ist schon erstaunlich. PT: Ihr Interesse richtet sich, verstehe ich das richtig, also insbesondere auf den Entstehungsprozess der Wanderungen, auf Fontanes Recherchen, auf seine Praktiken der Materialerfassung und-erschließung? CB: Ja, auf den Erschließungsprozess. Und auf den Verarbeitungsprozess. Wir wollen in der Ausstellung zweierlei zeigen: Zunächst die konkreten Materialien, also die Referenzobjekte, die Fontane gesehen hat: das Kir­chenbuch, ein Schwert und Ähnliches; dann aber auch, wie Fontane aus diesen Objekten Erzählbausteine macht. Es geht also darum, dass man die Spuren der Objekte in den Texten wiederfinden kann. PT: Das wäre dann ein gewissermaßen Objekt-getriebenes Schreiben, das in den Romanen in einen komplexen Prozess der Fiktionalisierung einge­bettet ist, in den Wanderungen hingegen offen zu Tage tritt? CB: Wobei auch in den Wanderungen Spuren verwischt werden. PT: Wie? CB: Fontane verwendet unterschiedliche Erzählformen, wir weisen ja im Untertitel unserer Ausstellung mit den»Geschichten« darauf hin. Fontane sammelt zwar einerseits Geschichten, er verarbeitet sie aber andererseits zugleich weiter, zum Beispiel, wenn er sich eine gelungene Anekdote er­zählen lässt und daraus dann einen szenischen Dialog macht. Sieht man in die Sagensammlungen etwa von Adalbert Kuhn und Wilhelm Schwartz, 5 dann entdeckt man, wo Fontane seine Materialien sozusagen seine ›Ob­jekte‹, seine ›Geschichten‹ her hat. Er hat sie aber eben interessanter ge­macht, indem er sie szenisch aufbereitet hat.