Christiane Barz im Gespräch mit Peer Trilcke 91 CB: Seine Tarnkappe setzt Fontane auf, als er Schmidt von Werneuchen aufsuchen möchte. Das Kapitel aus dem Spreeland-Band ist über weite Strecken rein fiktional. 19 Der Erzähler trifft dort auf eine Familie, und zwar in einer Kutsche, die – im Sommer 1809 soll das sein – an ihm vorbeifährt, er setzt seine Tarnkappe auf und setzt sich heimlich in diese Kutsche. Dann wird man Zeuge eines autorfiktionalen Spiels: Fontane, der Erzähler, begibt sich in unterschiedliche Rollen, und er spielt mit seiner eigenen Fiktion, denn da sitzt nicht nur einer und lauscht und freut sich, dass er dieses Familienleben miterlebt, sondern diese Figur, dieser Erzähler, dieser Fontane interveniert in die fiktive Situation, indem er zum Beispiel aus Versehen an einen Janitschar, an ein Schellenbäumchen also, stößt und damit alle Blicke auf sich zieht, die aber ins Leere gehen. Da kommt dann wieder das Märchenhafte, Spukhafte ins Spiel, wobei die Szene zugleich eine ungeheure Lebendigkeit erhält, die der Autor Fontane am Ende auch selbstgewiss abschließt mit:»Ich glaubte den Mann, dem diese Darstellung gilt, nicht besser einführen zu können, als durch[…][dieses] Bild.« 20 PT: Wie lassen sich diese Märchen- und Mythen-Techniken mit der realistischen Programmatik zusammenbringen, die Fontane im Prinzip doch vertreten hat? CB: Beides hat für Fontane sein eigenes Recht. Das gilt gerade auch in Hinblick auf die Genres. Fontane rehabilitiert Sage und Mythos, zum Beispiel im Fall von Caspar von Uchtenhagen in Bad Freienwalde, da erzählt er folgende Geschichte: 21 Es gibt zwei Porträts, eines zeigt den kleinen, vier oder fünf Jahre alten Jungen mit einer Birne in der Hand sowie ein Hündchen, das ihn anbellt. Das zweite Porträt ist das Sargporträt, Caspar von Uchtenhagen stirbt mit neun Jahren. Der Volksüberlieferung nach, die Fontane wiedergibt, wurde Caspar vergiftet, und zwar durch die Birne, wobei das Hündchen noch versuchte, ihn zu warnen. Historisch sei das, so Fontane, natürlich völliger Mumpitz, denn zwischen den Porträts liegen mehrere Jahre. Für die Volkspoesie spielt das jedoch keine Rolle, die funktioniert trotzdem und hat ihre eigene Dignität. Fontane widerlegt also durchaus manche Sage, aber ästhetisch und als Form der Überlieferung hält er an ihrer Legitimität fest. PT: Und dann werden diese Genres der Volksüberlieferung noch mit modernen Textsorten kombiniert, etwa mit Reportageformen, wie wir sie auch von Heinrich Heine kennen, also ein Schreiben aus einer beobachtenden Ego-Perspektive, was ja wiederum ein ganz anderer Schreibansatz ist als die gleichsam kollektive Perspektive der Sagen, eben ein journalistischer Ansatz. Auch das geht für Fontane einfach zusammen? CB: Genau, das ist wie bei den Zeitformen, es steht nebeneinander. Wir haben in den Wanderungen nicht zuletzt Formen der modernen Sozialre-
Heft
(2018) 106
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91
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