92 Fontane Blätter 106 Freie Formen portage, etwa wenn Fontane über die Torfstecher im Wustrauer Luch oder über die Ziegelbrennerei in Glindow schreibt. 22 Da beschreibt er eine Szenerie, die von Modernisierungsschäden gekennzeichnet ist. Hier ist Fontane fast als ein naturalistischer Reporter unterwegs, wobei sich dann auch zeigt, dass Brandenburg keineswegs ein vormodernes Idyll ist. Es ist nicht das ganz Andere von Berlin und der Moderne, die Zeiten durchdringen sich, auch und gerade in Brandenburg. Die Industrialisierung ist das Ende jenes Zeitstrahls, der mit den Wenden beginnt. Wobei Fontane das nicht als Verfallsgeschichte erzählt. Ohne die Eisenbahn etwa wäre er weit weniger herumgekommen. PT: Mich interessiert noch einmal die Frage, wie und ob sich das alles zusammenfügt. Es gibt ja die Position, dass Fontane mit seinen Wanderungen die Mark Brandenburg als einen Kulturgeschichtsraum allererst gestiftet hat, was ja auch die Vorstellung aufruft, es ginge hier um einen einheitlichen Raum, um eine einheitliche Identität. Gibt es diese Tendenz zur Synthese in den Wanderungen? CB: Das ist eine schwierige Frage, weil eine Systematik ja dezidiert nicht angestrebt wird. Das Bild bleibt mosaikhaft und sehr von subjektiven Interessen geleitet. Der Eindruck einer Kontinuität, vielleicht auch einer Synthese, der sich mitunter einstellt, ist dann eher ein Effekt literarischer, narrativer und auch rhetorischer Verfahren. PT: Fontane verfolgt also weder eine systematische, so etwas wie enzyklopädische Totalität anstrebende Herangehensweise, noch ein frühromantisches Konzept, wo man sich zwar dem Fragment widmet, in diesem Fragment dann aber den Aufschein des Ganzen erahnt. In Fontanes Wanderungen begegnet uns vielmehr etwas Späteres, Postromantisches? CB: Das Verhältnis zum Romantischen ist keineswegs so einfach. Interessant ist, dass Fontane, wenn er sich – etwa im Austausch mit seinen Verlegern – über seine Methode äußert, wiederholt auch auf seine Dichterkollegen zu sprechen kommt, einige davon porträtiert er ja auch in den Wanderungen. Fontane ist keineswegs der Pionier in der Literarisierung der Mark, er hatte Vorgänger, von denen er sich aber abgrenzt. Schmidt von Werneuchen ist einer dieser Kollegen, den man zu den ›Sängern der Mark‹ zählen könnte(eine Bezeichnung, die Fontane gehasst hat). Oder der »Hans Sachs von Freienwalde«, Karl Weise, ein»Poet und Drechslermeister«, den Fontane für den Oderland-Band besucht hat. 23 In ihm findet Fontane ein Beispiel dafür, wie man es nicht machen soll, wobei er sich am »wahrhaft beängstigendem Drange nach Vollständigkeit« stört, also daran,»jede[r] Kuppe, jedem landschaftlichen Punkt einen poetischen Zettel umzuhängen. Das glückt aber nie«, kommentiert Fontane:»Eine solche Aufgabe ist unpoetisch in sich und in derselben Weise, wie es unmöglich
Heft
(2018) 106
Seite
92
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