Christiane Barz im Gespräch mit Peer Trilcke 93 ist, auf sämtliche Schiffe der englischen Flotte oder auf sämtliche Regimenter der preußischen Armee einen Sonettzyklus zu machen, so verbietet sich auch, die weit ausgespannte Freienwalder Landschaft Nummer für Nummer zu besingen.« 24 PT: Ein solches ›Nummer für Nummer-Besingen‹ wäre dann der systematisch-enzyklopädische Ansatz. CB: Ja. Fontane hingegen zielt auf das Charakteristische: für ihn ein zentraler Begriff, und zwar werküberspannend, transgenerisch. Ihn interessiert dasjenige, in dem sich Wesenhaftes konzentriert, in der Geschichte, in den Biografien. – In der Landschaft wäre das das Malerische, und da ist Fontanes Ansatz dann doch romantisch gefärbt. PT: Wobei dieses Charakteristische sich ständig erweitert, damit auch im Laufe des Wanderungen- Projekts an Vielfalt gewinnt. CB: Fontane hat ja auch diese Mappe mit Ideen und Notizen zu weiteren Artikeln geführt, die bei Ihnen im Theodor-Fontane-Archiv lagert und auf der steht»Bei jeder neuen Auflage durchzusehn«. 25 Auch hat er die einzelnen Bände bei weiteren Auflagen teils massiv überarbeitet. Die Wanderungen sind als Text ein work in progress. Und das Gleiche kann man für die Mark Brandenburg sagen, die sich eben auch ständig wandelt. Fontane dokumentiert das auch selbst, zum Beispiel schreibt er programmatisch im Vorwort zur 2. Auflage von Havelland, er habe»das meiste so[…] belassen, wie sich’s etwa ums Jahr 70 dem Auge präsentierte«, er plädierte also für die Momentaufnahme, um dem Zwang zu ständiger Aktualisierung zu entgehen. 26 PT: Wie vermittelt man nun aber so ein reiches, in Teilen sicher auch sperriges Werk wie die Wanderungen? Wie wollen Sie so etwas ausstellen? CB: Mit mittlerweile gutem Mut. Ich selbst war durchaus eine harte Nuss, die erst einmal geknackt werden musste.»Es gibt Orte, wo was los ist, und es gibt Brandenburg«, wie Rainald Grebe singt – der Ansicht war ich anfangs auch. Bei Fontanes Romanen gab es für mich Herzenstexte. Die Wanderungen hingegen hätte ich niemals freiwillig gelesen, schon gar nicht von A bis Z. Aber es hat sich gelohnt, und nach und nach hat der Text mehr und mehr Funken geschlagen. Und wenn das für mich funktioniert, dann wird es auch, hoffe ich, für andere so sein. Hilfreich dabei ist sicherlich, dass Fontane uns mit dem Text selbst bereits etwas an die Hand gibt, denn er legt die Wanderungen als dezidiert didaktisches Projekt an. Zum einen will er zeigen, dass es nicht die Geschichte gibt, sondern dass Geschichte aus Geschichten und aus Geschichtsbildern gemacht wird. Zum anderen geht es um diese Wünschelruten-Methode, über die wir schon sprachen, also darum, zu zeigen, dass
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(2018) 106
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93
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